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Nur wer die Wahrheit sieht

Erschienen am 12.12.2005
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442459353
Sprache: Deutsch
Umfang: 635 S.
Format (T/L/B): 3.3 x 18.2 x 11.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Forbes Abbot ist ein reizendes kleines Dorf auf dem englischen Land. Für Mallory Lawson, seine Frau Kate und ihre Tochter Polly geht ein Traum in Erfüllung, als sie hier das idyllische Appleby House erben. Die beschauliche Fassade des Ortes bekommt jedoch einen ersten Riss, als der Notar der Lawsons tot aufgefunden wird. Als sich der vermeintliche Unfall auch noch als Mord entpuppt und sogar Polly ins Visier der Polizei gerät, ist der Traum vom geruhsamen Leben vorbei.

Leseprobe

DER KRIEGSRAUM Mallory Lawsons Tante war einzigartig. Seine ganze Kindheit hindurch hatte Mallory die Schulferien bei ihr verbracht, hatte in ihrem großen, weitläufigen Haus und dem halb verwilderten Garten die unendlichen Möglichkeiten für Abenteuerspiele genutzt. Tante Carey hatte immer instinktiv gewusst, wann er allein gelassen werden wollte und wann er Gesellschaft brauchte. Sie fütterte ihn mit wunderbar fetttriefendem, höchst kalorienreichem Essen, bei dem seine Mutter vor Entsetzen in Ohnmacht gefallen wäre. Und bei der Abreise steckte sie ihm jedes Mal mehr Geld in die Tasche, als er in einem Jahr mit dem Waschen des Familienautos verdiente. Das Beste war, als sie den vierzehnjährigen Mallory eine ihrer kostbaren Havanna-Cohiba-Zigarren bis zu Ende rauchen ließ. Davon war ihm so fürchterlich schlecht geworden, dass er seitdem keinen Tabak mehr anrührte. Und nun war die alte Dame mit achtundachtzig Jahren friedlich im Schlaf gestorben. Weitsichtig und vorausschauend wie immer hatte sie dies genau in dem Augenblick getan, als ihr geliebter Neffe geistig und körperlich kurz vor dem Zusammenbruch stand. Damals und noch lange danach dachte Mallory, dass ihn diese Erbschaft zu diesem Zeitpunkt davor bewahrt hatte, den Verstand zu verlieren. Ihm vielleicht sogar das Leben rettete. Die Nachricht vom Tod seiner Tante platzte mitten in einen Familienstreit. Kate, Mallorys Frau, war gerade dabei, all die schwierigen, konfliktträchtigen Punkte anzusprechen, die besorgte Eltern manchmal meinen, ihren Kindern vorhalten zu müssen, auch wenn diese Kinder offiziell Erwachsene sind. Diese Aufgabe war Kate nun schon eine ganze Weile zugefallen. Selbst wenn Mallory seine Tochter nicht vom Tage ihrer Geburt an verwöhnt hätte, fehlte ihm zur Zeit die Kraft, um sich auch nur in den kleinsten Streit einzumischen. Polly hatte gerade ihr zweites Jahr an der LSE, der London School of Economics, im Fach Finanzwirtschaft abgeschlossen. Obwohl das Haus der Lawsons nur eine Viertelstunde mit der U-Bahn von der LSE entfernt war, hatte sie darauf bestanden, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Im ersten Jahr wohnte sie in einem Studentenheim. Dann, nach den langen Semesterferien, hatte sie ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in Dalston gefunden. Die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern reichte für Miete, Essen und ein bescheidenes Taschengeld. In den ersten zwölf Monaten hatten ihre Eltern Polly kaum gesehen. Mallory hatte das schrecklich gekränkt, aber Kate hatte es verstanden. Ihre Tochter stand an der Schwelle zu einer neuen Welt, einem neuen Leben. Kate betrachtete es als Erfolg, dass es Polly kaum erwarten konnte, auf das höchste Sprungbrett zu klettern, sich die Nase zuzuhalten und in die Tiefe zu springen. Polly war klug, ausgesprochen hübsch und selbstbewusst. Psychologisch gesprochen konnte sie schwimmen. Aber finanziell? Nun, das war etwas anderes. Und genau darum ging es bei dieser Zusammenkunft. Denn jetzt hatte Polly offenbar vor, erneut umzuziehen. Sie hatte eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern in Shoreditch aufgetan. Und sie hatte die Absicht, die Schlafzimmer zu vermieten, um davon die Miete zu bezahlen. Die Agentur wollte drei Monatsmieten als Kaution, die bei Kündigung zurückgezahlt wurde, und ein Viertel der Miete im Voraus. »Und wo schläfst du?«, fragte ihre Mutter. »Es gibt einen kleinen Raum, in den genau ein Futon reinpasst - tagsüber kann ich ihn zusammenrollen. In Japan machen das alle.« Die immer ungeduldige Polly holte langsam und tief Luft. Die Diskussion, die bereits eine halbe Stunde andauerte, verlief schwieriger, als sie erwartet hatte. Wenn nur ihre Mutter nicht da wäre. »Schau nicht so entsetzt. Ich schlafe ja schließlich nicht auf der Straße.« »Ist die Wohnung möbliert?« »Nein.« »Dann brauchst du also außerdem noch Geld.« »Ich koste euch weniger, verdammt noch mal!« »Sprich nicht so mit deiner Mutter, Polly!« Mallory runzelte die Stirn, wobei sich die tiefen Furchen zwischen seinen Augenb