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Frauen im Gulag

Alltag und Überleben 1936 bis 1956

Erschienen am 03.02.2003
32,90 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446202863
Sprache: Deutsch
Umfang: 560 S., 56 s/w Illustr., 17 Tab.
Format (T/L/B): 3.6 x 22 x 15 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein eindringlicher Report, der detailliert über den Alltag und den Überlebenskampf der Frauen in den sowjetischen Straflagern berichtet. Meinhard Stark hat mit ehemaligen Gulag-Frauen Gespräche geführt sowie Lagerberichte und umfangreiche Aktenbestände in Moskau und Kasachstan ausgewertet. Entstanden ist dabei ein Buch, das eines der großen politischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts protokolliert.

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Hersteller:
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
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Kolbergerstaße 22
DE 81679 München

Leseprobe

Die Abfolge des Tages glich sich mehr oder weniger in allen Lagern. Wecken, Morgenappell und Arbeitsausgabe, Zwangsarbeit, Einnahme der kargen Verpflegung, Abendappell und Nachtruhe - das waren die immer wiederkehrenden Stationen des Alltags. »Immer dasselbe«, faßt Emilie B. den Tageslauf zusammen, »arbeiten, nach Hause, wieder arbeiten.«158 »Arbeit, Schlaf, Essen, Waschen, Verrichtung der Notdurft« waren die »kollektiven Handlungen«, die über Jahre das Leben der Häftlinge ausmachten.159 Irmgard Schünemann beschreibt in ihren mündlichen Erinnerungen einen Lagertag ihrer zehnjährigen Haft: »Früh um 5.00 Uhr wurden wir geweckt. Dann konnten wir uns waschen. Es gab solche langen Tröge, worin wir uns ein bißchen waschen konnten. Anziehen. Manchmal war es aber so kalt, daß wir in Sachen geschlafen haben. Dann haben wir unser Stück Brot gekriegt. Früh. Und dann ging's zum Arbeitsappell. Da haben wir dann ewig gestanden, bevor wir aus dem Lager rausgelassen wurden. Mit Musik wurden wir rausgelassen. So ein Hohn! Mit einem Blasorchester. Und da standen wir und standen. Brigadeweise wurden wir gezählt und rausgelassen, mit dem Brigadier. Der Weg zur Arbeit war ziemlich weit. Und unterwegs, muß ich sagen, die Männer sind da umgefallen wie die Fliegen. Die haben ja dasselbe Essen bekommen wie wir: Wassersuppen mit dreckigen Kartoffelschalen drin. Kartoffeln hatten die selber nicht, die brauchten sie für die Rote Armee. Es war ja Krieg. Wir waren die letzten. Was wir bekommen haben. Und das Stück Brot. Das hat uns vielleicht am Leben gehalten. Auf dem riesengroßen Fabrikgelände wurden wir wieder gezählt. Zu essen gab es dann erst wieder zur Mittagspause. Das Brot gab's nur in der Baracke. Das haben wir früh gekriegt, und da mußten wir uns nun was aufheben, das wir zur Suppe gegessen haben. Man war ewig hungrig, muß ich sagen. Daß wir da überhaupt noch Arbeit leisten konnten, das ist für mich heute noch ein Wunder. Aber wir haben es geschafft, und Schwerstarbeit. Nicht nur Erdarbeiten, sondern auch mit Beton. Bei Wind und Wetter mußten wir Karren mit Mörtel auf einem dünnen Brett über eine weite Strecke schieben. Und die Sachen, die wir anhatten, die waren ja oft noch feucht. So ging das bis abends. Dann wurden wir wieder alle gezählt und ins Lager reingelassen. Dann hatten wir manchmal Schuhwerk an, aus Stoff und Gummi unten. Da hatten wir schon nasse Füße. Wenn das geregnet hatte, sind wir schon mit nassen Füßen auf die Arbeit gekommen. Und im Winter Filzstiefel. Schwer, aber warm waren die. Wir waren doch so dünn, wir haben die kaum schleppen können. Wir kamen dann nach Hause. Da wurde nicht mehr viel gemacht. Es war ja schon dunkel. Wir waren zufrieden, als wir wieder auf unseren Pritschen lagen. Und das war unser Arbeitstag.«160 In den überlieferten Erinnerungen finden sich nicht sehr häufig solch detaillierte Schilderungen des Lageralltags. »Die graue Monotonie, dieses bleierne Einerlei des Daseins im Zwangsarbeitslager«, erklärt Susanne Leonhard, »läßt sich nicht beschreiben.« Das persönliche Leben schrumpfte zu einem »Nichts«, zu einem »Vakuum«, das sich nur schwer schildern läßt.161 Elinor Lipper ist neben Irmgard Schünemann eine von jenen Frauen, die einen einzelnen Tag im Lager schildert; ergänzt durch weitere Häftlingserfahrungen.162 Das Schlagen auf einem frei hängenden Stück Eisenbahnschiene gab die Signale, nach denen der Tag ablief. Im Sommer läutete der Diensthabende des Lagers zwischen 4.00 und 5.00 Uhr, im Winter manchmal später zum Wecken. Brigadierinnen oder Aufseher sorgt Leseprobe