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Saint Tropez

Und andere Erzählungen

Erschienen am 19.08.2005
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446206663
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 20.8 x 13 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Wolf Wondratschek geht in seinen Erzählungen Schicksalen von Menschen nach, deren Leben sich gegen ihren Willen selbständig macht und sie bedroht. Was jedem passieren kann, überall: einem Schriftsteller in Saint Tropez, einem Feuerwehrmann im Wiener Konzerthaus, einem jungen russischen Mädchen, sogar einem glücklich verheirateten Ehepaar. Scheinbar folgerichtige Lebensgeschichten werden als eine Ansammlung von Zufälligkeiten beschrieben - stilistisch brillant und meisterlich zu lesen.

Autorenportrait

Homepage von Wolf Wondratschek

Leseprobe

Soweit er sich zurückerinnern konnte, war alles in seinem Leben Routine gewesen. Nur nicht groß nachdenken! Über nichts! Nach Dienstschluß nach Hause, und später dann über die Straße ins Weinhaus Ohrfandl oder gleich unten im Haus ins Kärntner-Stüberl einen trinken gehen und Feierabend! Den einen oder anderen kannte man. Alle tranken. Niemand kümmerte sich darum, wie viel. Es konnte eine Frau allein an einem Tisch sitzen und trinken, was niemand störte. Es war Zeit, müde zu sein. Es war der Augenblick, Streichhölzer zu knicken, bis die Schachtel leer und der Aschenbecher vor einem voll war. Als Mozart in ihn eindrang (er nannte alles, was Musik war, Mozart!), geschah zuerst nicht viel. Er war nur danach, was ihn hätte stutzig machen können, wie betäubt und nicht in der Lage, nach Hause zu gehen, nicht sofort. Er kannte das Gefühl nicht, das sich in ihm aufhäufte, und versuchte zuerst, es zu ignorieren, auszuatmen, es durch sein Gehen, durch Bewegung an der frischen Luft loszuwerden. Was für ein Gefühl war das, das er nicht verstand? Wenn ich nur wüßte, mich auszudrücken, schrieb er seiner Frau später, als die ihn weggeschickt hatte. Es hat doch nie den geringsten Anhaltspunkt gegeben, mit dem Leben nicht ohne ein solches Gefühl auch glücklich zu sein! Er sei, ließ er sie wissen, trotzdem guter Dinge. Ich weiß jetzt, wie viel Geduld es braucht, bis die Verwunderung verklungen, der Verstand klar und die Hand, die Dir diesen Brief schreibt, wieder ruhig genug ist, um sie Dir reichen zu können. Etwas war passiert! Eine Panne, die ihn in einen Menschen verwandelt hatte, der er nie hatte werden wollen. Und keinem war der Mann, in den er sich immer mehr, immer auffälliger zu verwandeln begann, danach noch recht geheuer. Wenn er überhaupt noch der gleiche Mann war. Und was für Zeug er zum Schluß geredet hatte. Er sei Mozart, seinem Mörder, begegnet! Ausgerechnet Mozart! Alle Welt hört ihn, ohne gleich durchzudrehen! Mit wem überhaupt unterhielt er sich, wenn ihn keiner mehr verstand? Es ginge, hatte er gesagt, wenn er stürbe, nicht einmal ihn etwas an. Seine Kollegen waren gedanklich überfordert - und machten Meldung, was dann zu seiner Suspendierung vom Dienst führte. Vom Feuer sprach er nicht mehr wie ein Feuerwehrmann von einem Unglück, sondern wie von einem Gemälde, wie einer, der träumte. Einer behauptete, er habe ihn einmal während eines Einsatzes dastehen und weinen gesehen. Du verlangst Erklärungen, schrieb er, die ich weder kenne noch kennen könnte. Was weiß ich, durch welche undichte Stelle meiner Seele sich Mozart in mich eingeschlichen und mich, wie ich selbst weiß, verändert hat - sehr zu meinem Nachteil, wie Du mir vorwirfst. Und es nahm ja dann mit den Vorwürfen, bis es nicht mehr auszuhalten war, kein Ende mehr. Am schlimmsten der, ich würde Dich betrügen! Warum bringt ein Mann seiner Frau plötzlich Blumen mit? Der Feuerwehrmann war ein Leben lang heimgekommen wie alle, ohne Blumen. Und plötzlich Blumen! Hin und wieder sogar kleine Geschenke, die seine Frau genauso mißtrauisch, mit noch weniger Begeisterung als die Blumen entgegengenommen hatte. Bis sie ihn gebeten hatte, mit dem Unsinn aufzuhören, aufzuhören damit, den Kavalier zu spielen. Wie gern hätte er, wie ungeschickt auch immer, gerade das sein wollen! Einer sein dürfen, der sich in die Frau, mit der er verheiratet war, mit ungewohntem Mut neu verliebt hatte. Hab wenigstens die Höflichkeit, nicht alles noch komplizierter zu machen, stöhnte sie, auch wenn er nur andeutungsweise damit anfing. Es war das nichts, was sie hören, worüber sie nachdenken wollte. So redet einer, dachte sie, dem die Gedanken auch sonst locker sitzen, und bestrafte ihn für die Freude, sich ein Leben auszudenken, das es nicht gab, mit ihrem Schweigen und der Weigerung, schwanger zu werden. Er schaffte es nicht einmal mehr, sie für das, was es gab, zu begeistern, das Leben, das Leben, wie es war - mit all den Dingen, die da waren. Die Fiakerpferdchen zu ... Leseprobe

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