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Drama und Theater

Von Shakespeare bis Jelinek

Erschienen am 26.08.2006
17,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446207240
Sprache: Deutsch
Umfang: 208 S., 24 s/w Illustr., 24 Illustr.
Format (T/L/B): 1.9 x 21 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Dieses Buch könnte helfen, die ins Rutschen geratenen Bretter, die noch immer die Welt bedeuten, wieder zu befestigen. Ivan Nagel war Theaterkritiker, Dramaturg, Intendant und Professor für Ästhetik und Geschichte der Darstellenden Künste und hat nun seine Analysen und Ansichten zu Drama und Theater gesammelt. An Stückanalysen wie Shakespeares "Troilus und Cressida", an großen Klassiker-Inszenierungen wie Kortners "Emilia Galotti", an Porträts von Autoren, Theatermachern und Schauspielern arbeitet er exemplarisch die ästhetischen Beziehungen zwischen Drama und Theater, Text und Aufführung heraus.

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Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
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DE 81679 München

Autorenportrait

Ivan Nagel, 1931 in Budapest geboren, studierte Philosophie in Frankfurt, Paris und Zürich. Ab 1988 war er Professor für Ästhetik und Geschichte der Darstellenden Künste an der Hochschule der Künste in Berlin. Zuletzt wurde Ivan Nagel mit dem Ernst-Bloch-Preis und dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet. Er verstarb am 9. April 2012.

Leseprobe

Die Eigenart des Dramas Comedies are writ to be spoken, not read. Remember, the life of these things con­sists in action. John Marston, The Fawn (1606) Was unterscheidet das Drama vom Roman und vom Gedicht? Im ersten Satz fast jedes Romans begegnet der Leser dem Er­zäh­ler. Zeigt der Erzähler noch so ostentativ, dass seine Neugier nicht mir, dem Leser, sondern den zu erzählenden, mir noch wildfremden Menschen gilt - dennoch spüre ich, dass sein Bericht um meine Teilnahme wirbt, vielleicht um meinet­willen entstanden ist. - Das Gedicht, auch das innigste, birgt ein Element von Rhetorik. Goethes Zeile 'Ich denke dein' meint zwar weder mit 'Ich' noch mit 'Du' den Leser. Doch dass das Gedicht redet, heißt immer: Es redet zu mir. Unge­achtet der antiken Rhapsoden und der modernen Hörbuch-Stars oder Matinee-Rezitatoren: Weder der Roman noch das Gedicht braucht und fordert im Mo­ment seiner Rezeption einen Dritten - den Interpreten, der sich zwischen den Gebenden und den Nehmenden drängt. Das Drama dagegen wählt nicht das Zwiegespräch von Schöpfer und Empfänger, um auf ihrer Bindung das Werk zu errichten. Unter ästhetischen Sprach-Werken ist es das einzige, das nicht zu mir, sondern zu uns spricht. Es sucht sich, statt intim einen Leser, publik ein Publikum. Wichtiger noch für seine Eigenart: Die wahre Stimme des Dramas gehört nicht dem Dramatiker. Nicht nur bleibt diesem verwehrt (nach Sinn und Bau der Gattung), als 'Ich' zu 'Uns' zu reden. Paradoxer, schärfer: Authentisch überbringt uns niemals der Autor sein Wort - stets irgendein Zwischen-Träger. Wer Dramen schreibt, geht ein hohes Risiko ein. Er tritt die Verfügungsgewalt über das, was er schuf, an andere ab: an die Schauspieler oder den Herrscher über alle Schauspieler, den Regisseur. In diesem Buch stehen beieinander: Charakteristiken einiger Dramen von Shakespeare bis Wilde, Analysen dreier Klassiker-Inszenierungen, Porträts eines Regisseurs und drei großer Schauspieler, einer Choreographin, eines Schriftstellers, einer Schriftstellerin. Geschrieben wurde das in vielen Jah­ren, doch in einer Überzeugung. Sie sagt: Das Drama ist we­sentlich Theater, statt zum einsamen Entziffern zum gemein­samen Erfahren er­dacht. So gilt für jedes Drama das Grundge­setz, das Grund-Paradoxon der Gattung: Das Werk überlebt in den tradierten, fest notierten Buchstaben des Autors - doch es lebt in Wort und Bewegung, Geist und Körper seiner rasch wechselnden Interpreten. Shakespeares Stücke und Wild­gru­bers Gesicht gehören in ein Buch, in einen Gedankengang. Zum Beispiel: Der Kaufmann von Venedig Le secret d'ennuyer est celui de dire tout. Julie de Lespinasse, Lettres (1774) Von Shakespeares Tagen trennt uns eine Kluft von vierhundert Jahren. Wenn wir Shakespeare bei allen Unterschieden der Le­bensverhältnisse und Weltverständnisse spielen können, liegt das nicht daran, dass er für die Nachwelt oder die Ewigkeit schrieb. Vielmehr: Da er Dramen schrieb, schrieb er für sei­ne Interpreten - von 1600 oder 1800 oder 2000. Der Gemein­platz, man soll Theaterstücke spielen, 'wie der Dichter sie wollte', ist sachfremd, weil kunstfremd. Das Original des 'Kaufmann von Venedig' ist nicht der redlich redigierte Quar­to-Erstdruck von 1600. Es ist Shakespeares Inszenierung der Uraufführung, um 1596, von der wir nichts wissen. Übrig blieben von ihr nur hundert 'Enter' und 'Exeunt'. Und ein einziges, wunderbares Mal: 'Auftritt ein brauner Mohr, ganz in Weiß.' Wer aber war der Uraufführungs-Antonio seinem Bassanio: ein edler, generöser Freund oder ein verzweifelt todessüchtiger Liebhaber? Plante der Uraufführungs-Shylock aus berechnendem Christenhass von Anfang an, Antonio zu morden - oder trieb es ihn, erst seit Antonios Kumpane seine Juwelen geraubt, seine Tochter entführt hatten, sich rasend an ihm zu rächen? Der Text lässt beide Mal beides zu. Doch das Theaterstück wur­de, je nach Regie-Entscheidung von 1596, ein radikal an­deres. Wir kennen S ...