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Hersteller: Piper Verlag GmbH
Mark Oliver Stehr
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DE 80799 München
Autorenportrait
Georg M. Oswald, geboren 1963, arbeitet seit 1994 als Rechtsanwalt in München. Seine Romane und Erzählungen zeigen ihn als gesellschaftskritischen Schriftsteller, sein erfolgreichster Roman 'Alles was zählt', ist mit dem International Prize ausgezeichnet und in zehn Sprachen übersetzt worden. Zuletzt erschienen von ihm der Roman 'Vom Geist der Gesetze' und der Band 'Wie war dein Tag, Schatz?'.
Leseprobe
Mittwoch, 16. Januar Es waren vier oder fünf Typen, die im Halbdunkel der einzigen intakten Straßenlaterne unter dem Basketballkorb herumhingen. Diller hatte seinen Sitz so weit wie möglich zurückgeklappt und sah von Zeit zu Zeit zu ihnen hinüber. Neben ihm auf dem Fahrersitz saß Kessel, der es sich auf die gleiche Weise bequem gemacht hatte. Vier oder fünf junge Männer, aber nicht immer dieselben. Ein paar gingen, ein paar kamen. Türken, Albaner, Nordafrikaner, Iraker, Iraner, was auch immer - Arabs jedenfalls. Warum waren sie so geschäftig, ständig in Bewegung, reden, debattieren, streiten, weggehen, wiederkommen? Obwohl nicht zu erkennen war, was genau sie taten, war es mehr als offensichtlich. Diller wusste es, Kessel auch, doch sie vermieden, darüber zu sprechen. Nur aus den Augenwinkeln schauten sie hin, so als wäre es ihnen voreinander peinlich. Was auch der Fall war. Ihr Auftrag bestand darin, auf die andere Straßenseite zu sehen und zwei Fenster in dem heruntergekommenen Mietshaus gegenüber im Auge zu behalten. Sie taten es jetzt über eine Stunde lang, und wenn es nach ihrem Präsidenten ginge, würden sie es noch die ganze Nacht tun. Es handelte sich um zwei Fenster im dritten Stock. Wenn sich dahinter tatsächlich jemand befand, hielt er sich seit sie hier waren im Dunkeln auf und würde es wohl auch die ganze Nacht lang tun, weil er begriffen hatte, dass er observiert wurde. Wahrscheinlicher aber war, dass sich niemand in der Wohnung aufhielt und sie die nächsten acht Stunden völlig nutzlos im Auto sitzen, die schwarzen Fenster anstarren und schließlich, völlig übermüdet und ohne jedes Ergebnis, ins Präsidium zurückfahren würden. Was wirklich interessant war, spielte sich währenddessen unter dem Basketballkorb ab. Die Jungs dealten, das sah ein Blinder, und Diller hätte ihnen zu gerne einen Besuch abgestattet, was auch immer daraus geworden wäre. Aber das war nicht möglich. Er musste sich um seine beiden schwarzen Fenster kümmern. Und um Kessel. Es war warm für eine Nacht im Januar. Einige von den Arabs liefen in T-Shirts herum. Kessel fror. Er trug einen Wollpulli und ein Tweedjackett und zog trotzdem die Schultern nach vorn, Diller bemerkte, dass er sich bemühte, sein Zittern zu unterdrücken, das ihn wie ein Vorbeben erfasst hatte. Diller und Kessel kannten einander länger als zwanzig Jahre und wussten mehr voneinander, als andere je wissen durften. Zum Beispiel über Kessels Verhältnis zu Suchtstoffen aller Art. Als sie jung waren und bei der Drogenfahndung viel Zeit miteinander verbrachten, hatte Diller einen relativ genauen Überblick über Kessels Konsumgewohnheiten. Lange Zeit schien es, als habe Kessel die Sache im Griff. Nie rutschte er ganz ab, immer fand sich ein Ausweg. In der Gegenwart angelangt, hielt Diller ihn für ein polytoxisches Wrack und zugleich für ein biologisches Wunder, das immer noch lebte, obwohl es in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren alles zu sich genommen hatte, was es an verbotenen Substanzen in diesem Land zu kaufen gab. Nie so viel, dass es kein Zurück mehr gegeben hätte, aber eben doch viel zu viel. Diller ahnte das mehr, als dass er es wusste. Immer wieder gab es Ruhephasen, kalte Entzüge, das Gelöbnis der Besserung. Vor etwa sechs Jahren, versicherte ihm Kessel, habe er die Drogen endgültig aufgegeben. Alkohol hatte ihn bis dahin nicht sonderlich interessiert, doch nun fing er an, exzessiv zu trinken. Suchtverschiebung in Reinform. Im Präsidium war Kessels Alkoholismus lange Zeit, zumindest offiziell, eine unausgesprochene Tatsache geblieben. Diller hatte sich nicht an dieses scheinheilige Tabu gehalten. 'Du solltest eine Therapie machen', hatte er ihm nach besonders schlimmen Nächten geraten. 'Du solltest mich am Arsch lecken', hatte Kessel geantwortet. Doch vor ziemlich genau zwei Jahren war es so weit gewesen. Eine akute Bauchspeicheldrüsenentzündung hatte Kessel beinahe umgebracht. Zuerst kam der Zusammenbruch, dann die Therapie. Kessel war seitdem drogenfrei und trocken, s