Beschreibung
Der Kampf gegen die Taliban ist längst nicht mehr auf Afghanistan beschränkt. Mit der Ausweitung des Krieges auf Pakistan ist der Konflikt zu einem Regionalereignis geworden. Umso wichtiger ist es zu wissen, wer die in beiden Ländern operierenden Taliban eigentlich sind. International angesehene Experten schildern in diesem Band die Ideologien und Organisationsformen der »Gotteskämpfer« und ihr Verhältnis zur übrigen Bevölkerung. Sie erklären, welche Rolle die Taliban in der Drogenökonomie spielen und wie ihre Stellung innerhalb der Stammesstrukturen ist. Darüber hinaus gehen sie aber auch explizit auf die Rolle der Bundeswehr in Afghanistan ein. Insgesamt wird deutlich, dass der westliche Militäreinsatz nicht mehr Teil eines »war on terrorism« ist, sondern sich zur Bekämpfung eines überregionalen Aufstands entwickelt hat.
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Autorenportrait
Conrad Schetter (links), Dr. phil. habil., ist Wissenschaftler am Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn. Jörgen Klußmann, M. A., ist Studienleiter für den Fachbereich Politik sowie Christlich-islamischer Dialog an der Evangelischen Akademie im Rheinland in Bonn.
Leseprobe
Als im November 2001 die Luftangriffe der Coalition Forces das Regime der Taliban in Afghanistan binnen weniger Tage hinwegfegten, gingen die Analysten damals davon aus, dass die Taliban (dt.: Religionsschüler) nun Geschichte seien. Man war einhellig der Meinung, dass es sich bei den Taliban um eine künstliche, von Pakistan geschaffene, militant-islamistische Bewegung handelte, die keinen Rückhalt in der Bevölkerung genoss. Ein Jahrzehnt später stellt sich die Situation anders dar: Die Taliban kontrollieren nicht nur weite Teile Süd- und Südostafghanistans, sie befinden sich auch in Pakistan auf dem Vormarsch. Die Taliban haben sich zu einer transnationalen Bewegung entwickelt, die zunehmend auch an regionaler Bedeutung gewonnen hat. Weder die afghanischen und pakistanischen Sicherheitskräfte, noch die technisch weit überlegenen NATO-Truppen vermochten es bislang, das Phänomen "Taliban" in den Griff zu bekommen. Wenngleich die Taliban sicherlich von der Mehrheit der Bevölkerung nicht gerade geliebt werden, stellen sie dennoch gegenwärtig in Afghanistan die einzige Alternative zur Regierung von Hamid Karzai dar, die als korrupt und Washington ergeben gilt. Im Unterschied zur NATO, deren Präsenz in Afghanistan nicht von Dauer sein wird, ist der afghanischen Bevölkerung nur zu bewusst, dass die Taliban auch in einem zukünftigen Afghanistan eine wichtige Rolle spielen werden; oder, wie es ein Kommandeur der Taliban auf den Punkt brachte: "Die NATO hat die Uhren, wir haben die Zeit." (Shin 2009) Aufgrund ihres hartnäckigen und mitunter selbstmörderischen Widerstands gegen die NATO beherrschten die Taliban wie kaum eine andere politisch-militärische Bewegung in den letzten Jahrzehnten die Schlagzeilen der globalen Presse. Dabei verleiht die weltweite Berichterstattung den Taliban eine Art Mantel des mystischen Unbehagens: Ihre radikale Politik in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, als sie nahezu ganz Afghanistan beherrschten, machten sie zum düsteren Gegenpol der modernen, zivilisierten Welt. Unter ihrer Politik, die drakonische Strafen vorsah, litten vor allem Frauen und Minderheiten. Die Taliban versinnbildlichen daher für viele Beobachter die Weiterexistenz des "Mittelalters", oder "des Bösen", oder gar "Monster" in einem aufgeklärten Zeitalter. Gleichzeitig repräsentieren die Taliban den Fortbestand einer archaischen Welt der Stämme und Ursprünglichkeit. Diese Mystifizierung wird vor allem durch den sagenumwobenen Führer der Taliban, Mullah Omar, symbolisiert, den kaum ein westlicher Diplomat je zu Gesicht bekommen hat und von dem keine gesicherte Fotoaufnahme existiert. Auch das geographische Setting, in dem sich die Taliban bewegen, entspricht dem bizarren Halbwissen über sie. Denn wo sonst auf der Welt wären die Taliban besser aufgehoben als in einem schwer zugänglichen Labyrinth aus Gebirgszügen, das sich zudem in einer Grenzregion befindet, auf welches die Staatsmacht kaum Einfluss hat? Dass es sich zudem um eine Region handelt, die eine historisch umkämpfte frontier darstellt, an der sich bereits Britisch Indien im Great Game zwischen dem russischen Zarenreich und der britischen Krone im 19. Jahrhundert die Zähne ausgebissen hat, gibt dem Phänomen der Taliban historische Tiefe. So ist das Bild, das über die Taliban kursiert, stark von einer Mythenbildung geprägt; verlässliches Wissen über die Entscheidungsstrukturen und Motive der Taliban sind kaum vorhanden. Daher soll es die Aufgabe dieses Buches sein, einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Taliban zu leisten. So fragen wir nach den ideologischen Facetten und den Organisationsstrukturen der Taliban, beschäftigen uns aber auch mit konkreten Politikfeldern, in denen die Taliban über Einfluss verfügen, wie zum Beispiel über die Drogenökonomie oder die Sicherheit, sowie mit den NATO-Strategien zum richtigen Umgang mit den Taliban. Wenngleich sich dieses Buch mit den gegenwärtigen Taliban beschäftigt, halten wir zunächst eine historische Einordnung der Bewegung für notwendig, um die politisch-militärische Bewegung besser verstehen zu können. Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg der Taliban Der eigenen Legende zufolge gründete Mullah Muhammad Omar Achund (Mullah Omar), ein ehemaliger Kommandeur der Mudschahedin (dt.: Kämpfer Gottes) Anfang der 1990er Jahre in seinem Heimatdorf Maiwand, westlich von Qandahar, die Taliban-Bewegung. Überlieferter Anlass war, dass er ein Mädchen vor einer drohenden Vergewaltigung gerettet hatte. Mit der Freisetzung eines pakistanischen Konvois, den Mudschahedin überfallen hatten, nahm im September 1994 der Siegeszug der Taliban in Südafghanistan seinen Lauf. Doch liegen die Anfänge der Taliban bereits in den 1980er Jahren und müssen zudem vor dem Hintergrund der seit 1979 anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan gesehen werden.