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Lesen, Schreiben, Erzählen

Kommunikative Kulturtechniken im digitalen Zeitalter, Interaktiva, Schriftenreihe des Zentrums für Medien und Interaktivität, Gießen 13

Erschienen am 02.10.2013, 1. Auflage 2013
46,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593399515
Sprache: Deutsch
Umfang: 324 S.
Format (T/L/B): 2 x 21.3 x 14.2 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Die Digitalisierung der Medien und die Vernetzung der Kommunikation prägen maßgeblich unseren Alltag: Sie beeinflussen die kommunikativen Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Erzählens. Die Autorinnen und Autoren widmen sich diesem Phänomen aus dem Blickwinkel der Sprach-, Literatur-, Geschichts- sowie Politikwissenschaft und analysieren seine Bedeutung für die Produktion, Organisation und Rezeption unseres kulturellen Wissens.

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Autorenportrait

Henning Lobin ist Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim und Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim.

Leseprobe

Wissen im Netz Olaf Breidbach Wissen in der digital vernetzten Welt scheint - so meine These - nur vordergründig freigesetzt. Es sind nicht nur die alten Konzepte von Mind and Cognition, es sind auch die alten Konzepte von System und Ordnung, die die Wissensbewertung und Wissensorganisation der Moderne bestimmen. Verdeckt wird dies Alte durch den Verweis auf das so unendlich groß erschei-nende Reservoir der technologisch erschlossenen Novitäten. Im Netz der Informationswege ist jeder Mensch ein Informer. Das klingt offen, demokratisch und lebendig - und doch scheint mir Vorsicht gegenüber diesem Bild der offen organisierten neuen Wissensgesellschaft und der damit proklamierten Öffnung der Wissensordnungen angebracht. Insoweit möchte ich hier einige Gedanken zu dem Problem der Vernetzung offerieren, die zunächst kritisieren, dann aber ausgehend von dieser Kritik mit aller Vorsicht auch eine neue Perspektive formulieren. Dabei scheint mir das Moment des Digitalen im Verweis auf die neuen Technologien selbst weniger problematisch. An sich ist es nicht mehr als der Ausweis eines sich diskretisiert abfangenden Alls von Zuordnungsbestimmungen. Das Kontinuum eines Zuordnungsfeldes wird hier in eine Folge von Ja-Nein-Entscheidungen umgesetzt in denen - so Turing - jeder mögliche Satz formulierbar ist. Digital ist dabei nichts Modernes, es ist in der Organisation der digitalen Welt vielmehr nach der Struktur der Logik des Porphyrios gezeichnet. Und wie bei Platon eine Einzelheit in einer Folge von Ja-Nein-Entscheidungen im Konzert der uns verfügbaren Begriffe identifiziert und bezeichnet wurde, so sind auch in den Entscheidungs-bäumen unserer Expertensysteme solche dichotomen Schlusswege aufgebaut. Nicht dass es - mit Aristoteles - nicht auch multi-tom ginge, nur wäre in der dann nachzuvollziehenden Logik das einfache Ja-Nein in eine Matrize umzulesen, in der nun in der Kopplung einer Folge von Matrizen die Eindeutigkeit einer Zuordnungsfolge sehr rasch aufgelöst würde. Das parallel processing, jene Anfang der 1980er Jahre als Verheißung des neuen digitalen Zeitalters erscheinende Programmierung nahm solch eine Idee eines Nebeneinanders von Entscheidungsmöglichkeiten auf. Allerdings sind die klassischen Verrechnungs- und Berechnungsverfahren auch dieser Alternative zu einer strikt dichotomen Sichtung von Entscheidungsprozessen sehr schnell in ein dann doch hierarchisch strukturiertes, und damit die Parallelität nur emulgierendes Controlling überführt. Von der Alternative zu klassisch logisch operierenden Verfahren bleibt nur soviel erkennbar, wie es auch in den klassisch logischen Operationen darstellbar - und kontrollierbar - ist. Das Digitale gibt die Sicherheit, auch in der unermesslichen Weite der im Großrechner erarbeiteten Berechungsfolgen doch ei-ner strikten Observanz zu folgen. Ausreißer aus dieser Logik sind so schnell zu kennzeichnen, das unendlich rasch erscheinende Verfahren bleibt in seiner Logik so immer noch in den Formen gefangen, die uns verfügbar sind - und die somit von uns zumindest im Prinzip gewusst werden können. Viel ist zwar mehr, aber eben noch nichts wirklich Anderes. Positioniere ich nun dieses Viele in einem Gefüge, und setze so eine kaum mehr abzählbare Reihe möglicher Bestimmungen in Bezug zueinander, so gewinne ich augenscheinlich eine Dynamik des mir nicht mehr unmittelbar Nachzuvollziehenden. Doch generiere ich darin kein Chaos, ich sehe vielmehr auf einen Ordnungszustand. Diesen im Blick, kann ich mich dann anscheinend beruhigt zurücklehnen. Schließlich weiß ich all das Viele doch in Bahnen geführt, die ich vorab angelegt habe. Es gibt in den derart kanalisierten Strömen, in den in ihren Zusammenflüssen induzierten Turbulenzen dabei doch noch viel an Neuem und damit immer wieder Neues zu entdecken. Aufzuweisen vermag ich so mit den neuen Mitteln die Freude der alten Kombinatorik, jenes Berechnen des Neuen im Abwägbaren eines in seiner Gesamtheit zwar unermesslich Erscheinenden, im Letzten dann aber doch immer berechenbaren Alls von Bestimmtheiten. Und so zeigt mir eine Vielzahl immer wieder neuer Entdeckungen zwar Neuigkeiten, doch nichts anders. Es ist das neu Kombinierte, das in seiner Möglichkeit ja immer schon Erahnte, das ich so entdecke. Innovationen sind in diesem Reich der möglichen Kombinationen denn auch bewertbar. Ich beziehe ihren Wert auf den Grad der Wahrschein-lichkeit, mit der solch eine Kombination im Reich der Möglichkeiten zu erwarten ist. Das Un-gewöhnliche ist damit Teil meiner Erwartungen, die Sicherheit eines Wissens, das sich auch im Neuen immer wieder bestätigt weiß, ist damit nicht nur einsehbar, sondern bemessbar zu machen. Den Wert solch einer Innovation kann ich skalieren. Wobei ich gegebenenfalls indirekte Bemessungsverfahren wähle. So ist die Einpassung in das Bekannte, die mögliche Umsetzung in den schon etablierten Technologien ein Maß, die Qualität einer derart erfassten Innovation zu ermessen. Schauen Sie nur in die Formulare der Alexander von Humboldt-Stiftung, in die Programmatik der EU-Forschungsförderungen oder in die Verlautbarungen unserer Regierung. Gesellschaftliche Relevanz, im Sinne der möglichst direkten Anwend-barkeit von Wissen begründet denn auch im Vereinigten Königreich die Förderung geistes-wissenschaftlicher Forschungsinstitutionen. In den für solche Diskussionen erarbeiteten Statistiken werden Sie Zahlen entdecken, die die Diversität der Denkmöglichkeiten bewertbar scheinen lassen, wobei sich nach diesem Konzept der Innovationsbewertungen dann niemand wirklich vorwagen muss. Das offene Meer des im Letzten doch schon Bekannten ist von seinen Dimensionen eben doch kaum größer als der Chiemsee oder vielleicht sogar auch nur so groß wie die Bleilochtalsperre. Zwischen deren Ufergrenzen kann man durchaus neue Einblicke auffinden, allerdings bleiben diese gebunden an die Begrenzungen, die an sich schon ausgemessen sind. Die Offenheit, mit der hier gespielt wird, ist die eines nach Vorbin-dungen strukturierten Wissensbestandes, in dem Fragen noch ohne Antwort, Pfade unbe-schritten, doch Horizonte bewertbar sind. So mag es zwar scheinen, dass sich in der so großen Masse an immer wieder neu eröffneten Querbezügen eine einsehbare Ordnung des Einzelnen verlieren mag. Doch geht es dem, der sich dieser gezähmten Offenheit aussetzt, wie dem Taxonomen, der in den Sammlungen der im mittelamerikanischen Urwald arbeitenden Entomologen ganze Schränke neu zu beschreibender Formen vorgelegt bekommt, und dabei immer schon weiß, in welchen Ordnungen er diese Vielfalt zu registrieren hat. Diese kann er schätzen, einen Index bedienen, der ihm benennt, wie viel von welchen Gruppierungen er als noch zu beschreibende Formen auszuweisen hat. Das Neue ist ihm schon soweit bekannt, dass er Erwartungshorizonte zu formulieren vermag und in seiner Wissenschaft dann auch mit diesen Erwartungen rechnet. Sind wir uns da nun aber nicht ein wenig zu sicher, geht es uns hier nicht wie den Philosophen, die noch jüngst als Scholastiker kritisiert wurden, die in der Finesse ihres Instruments zur Strukturierung und Bewertung des Wissens soweit ausschreiten wollten, dass sie dann auch dem lieben Gott beschrieben haben, wie er seine Welt zu strukturierten habe? Sie waren dann zwar ganz zufrieden im Jetzt ihre Erwartungen an ihren Schöpfer erfüllt zu wissen. Es hat aber - historisch betrachtet - dann nicht mehr allzulange gedauert, bis deutlich wurde, dass eine neue Welt nicht zu finden war, wenn man sein eigenes Denken im Spiegel betrachtet. Habe ich nun aber in der Programmierung der parallelen Welten in den sich frei einstellenden Verknüpfungen frei evolvierender Verrechnungssysteme solch einen, das Bild brechenden Spiegel nicht gerade zerschlagen und damit das Wissen in sich selbst auf die Bahn gesetzt, das dann nach Douglas Adams - in The Hitchhiker's Guide to the Galaxy - auch im Rechner die eigentliche Metaphysik gebären ließ? Nur es gibt da einen Schönheitsfehler. All die parallelen Proze...

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