Beschreibung
Der Neoliberalismus, so scheint es, ist ein Phantom: Es gibt keine Anhänger, nur Kritiker. Der Begriff ist zu einer Kampfparole geworden, zur Negativfolie des modernen Kapitalismus mit einem globalisierten Markt, in dem nur der Wettbewerb zählt. Namen wie Milton Friedman, der wohl bekannteste Vertreter der neoliberalen Wirtschaftstheoretiker, stehen für das Konzept eines radikalen Laisser-faire, in dem es für die Schwächeren in der Gesellschaft keine soziale Absicherung mehr gibt.
Autorenportrait
Gerhard Willke bietet erstmals eine objektive Darstellung der neoliberalen Ansätze, die zeigt, was an der Neoliberalismuskritik berechtigt und was daran nur lamentierender Zeitgeist ist.
Leseprobe
Wenn man über eine undifferenzierte Verdammung des Neoliberalismus einerseits und über eine bornierte Verherrlichung des Marktes andererseits hinaus gelangen will, muss man sich wohl die Mühe machen, die Funktionsweise von Wettbewerbsmärkten und das Zusammenspiel zwischen Marktkoordination und staatlicher Regulierung genauer anzuschauen. Nur auf der Basis eines hinreichenden Verständnisses dieser Grundsachverhalte besteht eine Chance, angemessene Konzepte für erwünschte Verbesserungen entwickeln zu können. Ein erster Schritt bestünde darin, anzuerkennen, dass der von der Kritik bisweilen unterstellte »schrankenlose« Marktkapitalismus in Wirklichkeit nirgends existiert. Überall ist das Wirtschaften an Regeln und Normen gebunden, die zwar mehr oder weniger eng sind und -- wie alle Regeln -- mehr oder weniger befolgt werden, die aber doch in der Form von Wirtschaftsordnungen, Gesetzen, Vorschriften, Auflagen und Verboten das wirtschaftliche Handeln binden. Und dass es bei der Forderung nach Deregulierung nicht um die Durchsetzung des »totalen« Marktes geht, sondern um den Abbau staatlicher Reglementierung -- ausgehend von einer Staatsquote von rund 50 Prozent in Deutschland und einer Regelungsdichte, die in Europa ihresgleichen sucht. Vor diesem Hintergrund sind die Kernforderungen des neoliberale Projekts zu sehen -- Forderungen nach mehr Markt und weniger Staat, nach mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung, nach weniger obrigkeitlicher Bevormundung und Regulierung.Konturen des neoliberalen Projekts. Als philosophische Denkschule steht der Liberalismus in der Tradition von Aufklärung, Individualisierung und Rationalität. Der politische Liberalismus betont die individuelle Freiheit durch Rechtsschutz gegen staatliche Willkür (rule of law) sowie die personale Selbstbestimmung (pursuit of happiness).»Life, liberty and the pursuit of happiness« (Thomas Jefferson: Declaration of Independence 1776). Der Wirtschaftsliberalismus setzt auf Markt und Wettbewerb als Organisationsprinzipien des wirtschaftlichen Handelns. Im 18. Jahrhundert richtete sich die Forderung des Laisser-faire! gegen obrigkeitliche Willkür und staatliche Bevormundung; das korrumpierte und fortschrittsfeindliche Feudalregime sollte einem neuen System der »natürlichen Freiheit« Platz machen.Diese Kernelemente finden sich im heutigen »neoliberalen Projekt« wieder: Auch dabei geht es um den Abbau überzogener staatlicher Regulierungen und lähmender Belastungen des Wirtschaftslebens. Im Zuge einer schleichenden Hypertrophie des Sozialstaats hat sich ein unentwirrbares Netz von Regelungen, Auflagen und Abgaben wie Mehltau über die Wirtschaft gelegt. Die eingeengten individuellen Handlungsspielräume müssten deswegen durch Reformen wieder ausgeweitet, die Blockierungen des Marktsystems wieder gelöst werden. Das neoliberale Projekt zielt auf eine Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft derart, dass die Individuen darin ihr »Streben nach Glück« mit einem Minimum an staatlicher Reglementierung und einem Maximum an individueller Selbstbestimmung realisieren können.Eckpunkte der Neoliberalismuskritik. Aus der Perspektive der Neoliberalismuskritik zeigen aber genau diese Bestrebungen, dass der ordnende Staat zurückgedrängt, ja, entmachtet werden soll -- in der Absicht, die Gesellschaft einem rigorosen Marktregime zu unterwerfen. Die neoklassische Theorie fungiere dabei lediglich als Ideologie, die den Konkurrenzkampf »aller gegen alle« rechtfertigen soll -- jedes Wirtschaftssubjekt eine Ich-AG. Es sei bereits beobachtbar, so die Kritik weiter, dass andere gesellschaftliche Lebensbereiche zunehmend vom Markt- und Profitkalkül dominiert würden, ganz im Sinne der These einer fortschreitenden »Kolonialisierung der Lebenswelt« (Habermas 1979, S. 28). Das »Ideal«, so Ulrich (2002), »das implizite Ideal des theoretisch und praktisch betriebenen ökonomischen Rationalismus [...] ist nicht mehr eine ethisch-politisch eingebettete Marktwirtschaft, sondern eine totale Marktgesellschaft«.Ethisch-kommunitarisch ausgerichtete Kritiker des Neoliberalismus geißeln die gemeinschaftsfeindliche Prämisse vom autonomen, rationalen Wirtschaftssubjekt und beklagen die normative Dürftigkeit wie auch die Kälte des Marktes. Dem wollen sie mit gemeinschaftsdienlichen Werten und mit einer Erneuerung der Tugend entgegen treten. Wenn allerdings kommunitarisch Gutmeinende verhindern wollen, dass »die Individuen [...] als zitternde Atome in der Kälte des Neoliberalismus alleingelassen werden«, dann folgt daraus zwingend der Anspruch einer »Remoralisierung der Zivilgesellschaft« (Reese-Schäfer 2001, S. 131). Damit aber läuft dieser Ansatz in die präzeptorale Falle: Indem Kommunitarier und andere Moralisten normative Vorgaben verabreichen, spielen sie sich zum Vormund auf. Doch die damit intendierte Formung eines besseren und neuen Menschen ist definitiv erledigt, ob nun in der sozialistischen Variante oder in der des florentinischen Bußpredigers Savonarola (1452¬1498).[...]
Inhalt
InhaltSiglen 9Einleitung 111 Das neoliberale Projekt: Vorrang für den Markt 281.1 Hintergründe des neoliberalen Projekts 281.2 Der Markt als Koordinationsmechanismus 341.3 Wettbewerb als Anreiz- und Sanktionssystem 571.4 Die Tendenz zum Gleichgewicht 601.5 Gemeinwohl als »Nebenwirkung« des Marktes 671.6 Der Staat im liberalen Paradigma 841.7 Der Mensch im liberalen Paradigma 901.8 Der Kern des neoliberalen Projekts 1062 Die Wegbereiter des neoliberalen Projekts 1072.1 Friedrich August von Hayek 1092.2 Milton Friedman 1283 Brennpunkte der Neoliberalismuskritik 1473.1 Wider den neoliberalen »Ökonomismus« 1473.2 Wider das Wüten der Marktkonkurrenz 1563.3 Wider Egoismus und Profitstreben 1633.4 Wider die »Furie der Deregulierung« 1703.5 Wider eine neoliberale Globalisierung 1773.6 Zusammenfassung: Das Elend der Neoliberalismuskritik 184Literatur 196Glossar 205
Schlagzeile
InhaltsangabeInhaltSiglen 9Einleitung 111 Das neoliberale Projekt: Vorrang für den Markt 281.1 Hintergründe des neoliberalen Projekts 281.2 Der Markt als Koordinationsmechanismus 341.3 Wettbewerb als Anreiz- und Sanktionssystem 571.4 Die Tendenz zum Gleichgewicht 601.5 Gemeinwohl als »Nebenwirkung« des Marktes 671.6 Der Staat im liberalen Paradigma 841.7 Der Mensch im liberalen Paradigma 901.8 Der Kern des neoliberalen Projekts 1062 Die Wegbereiter des neoliberalen Projekts 1072.1 Friedrich August von Hayek 1092.2 Milton Friedman 1283 Brennpunkte der Neoliberalismuskritik 1473.1 Wider den neoliberalen »Ökonomismus« 1473.2 Wider das Wüten der Marktkonkurrenz 1563.3 Wider Egoismus und Profitstreben 1633.4 Wider die »Furie der Deregulierung« 1703.5 Wider eine neoliberale Globalisierung 1773.6 Zusammenfassung: Das Elend der Neoliberalismuskritik 184Literatur 196Glossar 205
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