Beschreibung
Gender-Mainstreaming beschäftigt die Behörden, Gender und Diversity bilden wichtige Managementinstrumente global agierender Unternehmen und es gibt wohl kaum eine Bildungseinrichtung, die nicht auch Gender-Kompetenz vermitteln möchte. Doch was steckt hinter dem Begriff »Gender«, wie ist es zu seiner Popularität gekommen? In welchem theoretischen und zeithistorischen Kontext ist Gender als Kategorie entstanden, und was ist aus der Unterscheidung von Sex und Gender geworden? Welche Folgen hat der häufig ungenaue, ja unbedarfte Wortgebrauch für die Geschlechterforschung? Und schließlich: Welche Zukunft hat der Begriff Gender? Ausgehend von diesen Fragen entwickeln die Autorinnen des Bandes aktuelle Ansätze feministischer Kritik mit dem Ziel, neue interdisziplinäre Perspektiven für die Geschlechterforschung zu entwerfen.
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Autorenportrait
Anne Fleig ist Professorin für Deutsche Philologie mit einem Schwerpunkt Geschlechterforschung an der FU Berlin.
Leseprobe
Die Zukunft von Gender und das Subjekt des Feminismus: Zur Einleitung Anne Fleig "Was wollen Sie noch?" Diese provokante Frage stellte die Künstlerin Angela Dwyer auf dem Titelbild der feministischen studien zum 30-jährigen Jubiläum der Zeitschrift (2013). Unter dem Titel: "Was dringend getan werden muss" erschien gleichzeitig ein von der Schriftstellerin Antje Rávic Strubel kuratiertes Heft der Neuen Rundschau (2013), das den Blick ebenfalls auf die Geschlechterverhältnisse der Gegenwart richtet. Diese Fragen bezeichnen sehr genau das Spannungsfeld, in dem die "Zukunft von Gender" liegt: Es ist geprägt durch die Erfolge der Frauenbewegung und der Frauen- und Geschlechterforschung, aber auch der Kritik dieser Erfolge ausgesetzt. Diese Kritik ermöglicht zugleich die Fortführung feministischer Reflexion (vgl. Knapp 2012: 13). Es gilt also zu ermessen, was noch nicht getan wurde, und zugleich den Antrieb für dieses Tun nicht zu verlieren. Denn eine andere Antwort auf die Frage "Was wollen Sie noch?" könnte durchaus lauten: Es ist alles getan, oder doch fast, nur noch ein wenig mehr Anstrengung, und die Zukunft beginnt. Darüber hinaus stellen die Titel der beiden Hefte vernehmlich die Frage nach dem "Was?", also nach der Sache, um die es geht, und nach zukünftigen Aufgaben. Bei Rávic Strubel fällt auf, dass die Frage als Aussage erscheint: Die Frage, was dringend getan werden muss, fällt so mit der Feststellung, dass etwas getan werden muss, zusammen. "Wer" indes etwas will oder tun soll, bleibt unbenannt. Auch die in diesem Band versammelten Beiträge stellen sich der Frage nach der Zukunft von Gender, ohne sie immer beantworten zu können oder zu wollen. Denn diese Zukunft beginnt, so die zentrale These des vorliegenden Bandes, mit der Reflexion der Folgen, die verschiedene feministische Theorie-Ansätze nach sich gezogen haben. Zu diesen Folgen gehören sowohl der Wandel von Begriffen und ihren Bedeutungen als auch die Verschiebung von der Frauen- und Geschlechterforschung zu den Gender Studies. Diesem Wandel ist der Übergang von Struktur- zu Wissensfragen inhärent, der weitreichende theoretische Veränderungen nach sich zieht und Gegenstand mehrerer Beiträge ist. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff Gender wird daher - wie der Untertitel deutlich macht - zugleich als Zeitdiagnose verstanden. Trotz der unbestreitbaren Erfolge des Konzepts Gender teilen die Beiträge die Annahme, dass tatsächlich noch einiges zu tun ist, weil das Erreichte nicht ausreicht oder sogar Kritik erfordert. Der auf Joan W. Scott verweisende Titel des Bandes zielt darüber hinaus auf die Diskussion der Frage, inwiefern der Begriff Gender die anstehende Arbeit zu leisten vermag (vgl. Scott 2001: 42), Gender also nicht mehr die "nützliche Kategorie" ist, die sie einmal war (Scott 1986). Alle Beiträgerinnen sind sich darin einig, dass Gender Zukunft hat. Keine Einigkeit besteht dagegen in der Bewertung des Konzepts. Ob Gender heute überhaupt noch ein Begriff der Kritik oder womöglich vollständig "depolitisiert" ist, wie Barbara Rendtorff argumentiert, wird in diesem Band kontrovers diskutiert. Die Frage nach dem Zusammenhang von Kritik und Zukunftsfähigkeit wird gegenwärtig vor allem durch das supranationale Konzept des Gender Mainstreaming sowie den in jüngster Zeit vieldiskutierten Wechselwirkungen zwischen Feminismus und neoliberalem Kapitalismus (vgl. Fraser 2009) aufgeworfen. Die Debatte über die Zukunft des Konzepts Gender setzt daher an der Kontextualisierung und Historisierung des Gender-Begriffs an, um die Verflechtung von Theorie und gesellschaftlicher Entwicklung zu verstehen und das Anliegen theoretischer Anstrengung zu schärfen, wenn nicht sogar wieder zum Vorschein zu bringen. Im Folgenden geht es also sowohl um einen Blick zurück, um eine Bestandsaufnahme und Revision theoretischer Konzepte der Geschlechterforschung aus der Perspektive verschiedener, aber vielfach miteinander verbundener Disziplinen - Literaturwissenschaft, Pädagogik, Philosophie und Soziologie -, als auch um eine Betrachtung der Gegenwart, die immer deutlicher erkennen lässt, dass und inwiefern Theorie, Literatur und Kultur der zunehmenden Ökonomisierung der Gesellschaft zuarbeiten. Auch auf theoretischer Ebene muss daher die Exit-Option allererst entwickelt werden. In keinem der hier versammelten Beiträge finden sich daher konkrete Utopien, Pläne für die Zukunft oder gar Programme. Diese Leerstelle deutet einerseits auf einen signifikanten Mangel an Alternativen, Entwürfen oder schlicht den Verlust der Utopie hin. Die Frage nach der Zukunft aber überhaupt zu stellen, bedeutet andererseits zumindest, Gender nicht für die Antwort zu halten (vgl. Weed 2011: 295). Die folgenden Beiträge fragen also nicht, ob Gender eine Zukunft hat, sondern versuchen zu sondieren, wo Kritik ansetzen muss, um mit den Widersprüchen der Gegenwart umzugehen und in diesem Sinne etwas zu tun. Doch wieviel Zukunft ist möglich, wieviel Zukunft ist nötig? Uneinigkeit besteht denn auch in der Frage, ob diese offenen, nicht näher bestimmbaren Zukünfte geradezu die Bedingung eines anderen Denkens sind, wie Sabine Hark argumentiert, oder ob diese Offenheit eher Ausdruck von Orientierungslosigkeit ist, der durch klare Zielsetzungen oder gar politische Utopie-Entwürfe abzuhelfen wäre. So moniert Tove Soiland in ihrem Beitrag, dass "weitgehend ungeklärt ist, welches Problem eine kritische Theorie, die sich in den Dienst eines feministisch-emanzipatorischen Projekts stellen will, in fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften eigentlich anzuvisieren hat." Unklar ist darüber hinaus, wer die Subjekte dieses Projekts wären und ob bzw. wie sie sprachlich zu fassen sein könnten. Hilge Landweer gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass es zwar vorstellbar ist, in ferner Zukunft auf den Begriff des Geschlechts zu verzichten, dass es aber niemals möglich sein wird, ohne leibliche Betroffenheit zu existieren. Zur Debatte steht damit auch die Konzeption und Re-Artikulation des Subjekts, für das Gender möglicherweise nicht mehr bestimmend sein wird. Dies ist nicht zuletzt eine poetologische Frage, die einen Weg bahnen könnte, als Autorin, als Frau zu sprechen, ohne immer schon die Frauen zu meinen. Am Beginn der Auseinandersetzung mit der "Zukunft von Gender" stand neuer Gender Trouble. Ausgangspunkt war der Wunsch, gegen die immer breitere Verwendung des Begriffs Gender und der mit ihr verbundenen Begriffsverwirrung Einspruch zu erheben und auf neue begriffliche Allianzen hinzuweisen. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Erscheinen von Judith Butlers gleichnamigem Band (1990) ist Gender nicht nur in aller Munde, Gender ist inzwischen auch zur Währung auf dem neoliberalen Markt der Möglichkeiten geworden. Die Verankerung von Gender-Kompetenz in Lehrplänen und Studienordnungen bedeutet nicht nur eine didaktische Herausforderung, sondern wird auch als zukünftige Führungskompetenz von Nachwuchswissenschaftlerinnen gefeiert, Gender Mainstreaming beschäftigt längst Behörden und Betriebe in allen europäischen Staaten, während Gender und Diversity wichtige Management-Instrumente global agierender Unternehmen bilden. Selbst Feminismus ist wieder angesagt, wo er die Verbesserung der Aufstiegschancen von Frauen im Blick hat, wie Angela McRobbie in diesem Band unterstreicht. Es besteht kein Zweifel, dass die Popularisierung des Begriffs zu seiner Unschärfe beiträgt. Gender ist keine ausschließlich analytische Kategorie mehr; auch kann nicht ohne weiteres bestimmt werden, was genau Gender meint. Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Gender-Begriff wurde deutlich, dass der Wunsch nach Begriffskritik ein Unbehagen artikuliert, das über die Verwendungen von Gender hinausweist. Die erneute Auseinandersetzung mit dem Begriff, aber auch die Erinnerung an die seit seiner Einführung immer wieder und von unterschiedlichen Seiten formulierte Kritik an seinen Implikationen führte schließlich zur leitenden Frage, warum und durch welche Fa...
Schlagzeile
Politik der Geschlechterverhältnisse