Beschreibung
Niedrige Geburtenraten, unsichere Partnerschaften und prekäre Beschäftigung - mit diesen Entwicklungen sieht sich Deutschland seit den 1970er-Jahren konfrontiert. Doch welchen Einfluss haben Unsicherheiten in der Partnerschaft und im Erwerbsleben auf die Geburt des ersten und zweiten Kindes? Diese Studie zeigt zwei notwendige sozialpolitische Konsequenzen auf, um der negativen Geburtenentwicklung entgegenzuwirken: die rechtliche Gleichstellung von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft und mehr Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt.
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Autorenportrait
Annina T. Hering, Dr. rer. pol., war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln, und arbeitet heute als Economist.
Leseprobe
Kapitel 1 Einleitung Das Geburtenverhalten in Deutschland steht immer wieder im Fokus der wissenschaftlichen, politischen und öffentlichen Diskussion. Der Grund hierfür liegt in einer niedrigen Fertilität, die seit über vierzig Jahren in Deutschland zu beobachten ist. Zusammen mit einer gleichzeitig steigenden Lebenserwartung werden diese Entwicklungen auch als "demografischer Wandel" bezeichnet. Mögliche Folgen dieser Entwicklungen für die Sozialsysteme, den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft insgesamt werden auf wissenschaftlicher und politischer Ebene öffentlich diskutiert und hinterfragt (BMI 2011; 2012; Brussig 2015; Buhr und Huinink 2015; Bujard 2015; Ebbinghaus 2015; Frevel 2004; Goldstein, Sobotka und Jasilioniene 2009; Hinte und Zimmermann 2013; Mingels 2015). Abbildung 1-1 stellt die zusammengefassten Geburtenziffern der Jahre 1970 bis 2015 für Deutschland dar. Im Jahr 1970 wurden in West- und Ostdeutschland noch mehr als 2 Kinder je Frau geboren. Im Jahr 2015 waren es in Westdeutschland 1,50 und in Ostdeutschland 1,56 Kinder je Frau (Statistisches Bundesamt 2016b). Da die Geburten weit unterhalb des Bestanderhaltungsniveaus von 2 Kindern je Frau liegen, gehört Deutschland im internationalen Vergleich zu den Ländern mit der niedrigsten Fertilität (The World Bank 2017). Von einer niedrigen Fertilität wird gesprochen, wenn sich die zusammengefassten Geburtenziffern unterhalb des Bestanderhaltungsniveaus bewegen. Eine sehr niedrige zusammengefasste Geburtenziffer von weniger als 1,3 Kindern je Frau wird als "lowest-low fertility" bezeichnet (Billari und Kohler 2004, 161; Goldstein, Sobotka und Jasilioniene 2009; Kohler, Billari und Ortega 2002; Van de Kaa 1987). Diesen Schwellenwert zur "lowest-low fertility" unterschreitet Westdeutschland Mitte der 1980er-Jahre für zwei Jahre. Die Zahl der Geburten nimmt im Zuge der Wiedervereinigung in Ostdeutschland stark ab, was dort bis Mitte der 2000er-Jahre eine "lowest-low fertility" zur Folge hat (Statistisches Bundesamt 2016b). Abbildung 1-1 verdeutlicht, dass die zusammengefasste Geburtenziffer in Deutschland in den letzten dreißig Jahren weitestgehend konstant das niedrige Niveau von 1,4 Kindern je Frau gehalten hat - den extremen Geburtenrückgang im Zuge der Wiedervereinigung in Ostdeutschland ausgenommen. Im Gegensatz zur zusammengefassten Geburtenziffer nimmt die Zahl nichtehelicher Geburten in Deutschland seit den 1970er-Jahren kontinuierlich zu. In Westdeutschland wurden im Jahr 1970 5,5 Prozent der Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften geboren. Im Jahr 2015 waren es bereits 29,5 Prozent. In Ostdeutschland lag der Anteil nichtehelicher Geburten im Jahr 1970 bereits bei 13,3 Prozent; bis zum Jahr 2015 ist er auf 60,7 Prozent angestiegen (Statistisches Bundesamt 2016b). Der Rückgang der zusammengefassten Geburtenziffern fällt in eine Zeit, in der sich Partnerschaften, Familien und der Arbeitsmarkt verändern. Welche Herausforderungen junge Erwachsene durch sich in der Vergangenheit verändert habende und sich weiterhin wandelnde Partnerschaften und Arbeitsmärkte mit Blick auf die Familiengründung und -erweiterung bewältigen müssen und welche Auswirkungen dies auf das Geburtenverhalten hat, untersuche ich in der vorliegenden Arbeit. Die Bildungsexpansion und die Kommodifizierung der weiblichen Arbeitskraft haben zusammen mit einem Wertewandel zu veränderten Rollenvorstellungen von Frauen beigetragen und die "Krise der Normalfamilie" eingeleitet (Beck-Gernsheim 1983; Beck und Beck-Gernsheim 1990; Kaufmann 1988, 393-400; Peuckert 2012, 17-28, 405-9). Die bürgerliche Familie dominierte das Familienideal der Nachkriegszeit. Dieses umfasste eine lebenslange Ehe, zwei Kinder und eine traditionelle Arbeitsteilung, die für die Frau eine Hausfrauen- und Familienrolle vorsah (Nave-Herz 2013a, 63; Peuckert 2012, 15-16, 20). Der Wandel von Partnerschaft und Familie seit den 1970er-Jahren hat zu einer Entkoppelung von Liebe und Ehe, von Ehe und Zusammenleben sowie von Ehe und Elternschaft geführt (Tyrell 1988, 154-55). Damit hat ein Bedeutungswandel von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft eingesetzt, der bis heute andauert (Kiernan 2001; Manting 1996). Die Veränderungen von Partnerschaft und Familie seit den 1970er-Jahren äußern sich in vielerlei Hinsicht. Partnerschaftsbiografien sind heute weniger von einer lebenslangen Ehe als von kürzeren Beziehungen geprägt (Eckhard 2010; 2015), gleichzeitig hat die Zahl der Eheschließungen abgenommen (Statistisches Bundesamt 2016b). Außerdem deutet der Anstieg des Alters bei der ersten Eheschließung auf eine verzögerte Festlegung auf den Partner hin. Rechtliche Hürden der Ehescheidung wurden mit der Eherechtsreform Ende der 1970er-Jahre behoben, sodass Ehescheidungen heute nichts Außergewöhnliches mehr sind (Limbach und Willutzki 2002, 22-28; Statistisches Bundesamt 2009; 2015a, 38; 2016d, 54). Auf dem Arbeitsmarkt wird das Ende des fordistischen Produktionssystems durch die Entwicklungen des Kapitalismus seit den 1970er-Jahren herbeigeführt. Die Normalarbeitsverhältnisse des fordistischen Produktionssystems waren durch unbefristete Vollzeiterwerbstätigkeit mit einem subsistenzsichernden Einkommen und mit einer vollständigen Integration in die Sozialversicherung geprägt (Mückenberger 1985; 2010). Infolge einer zunehmenden Flexibilisierung, Liberalisierung und Deregulierung der Arbeitsmärkte erodieren Normalarbeitsverhältnisse und atypische sowie prekäre Beschäftigungsverhältnisse nehmen zu. Eine neue kapitalistische Landnahme führt dazu, dass neue Formen von Prekarität entstehen (Dörre 2009; Mückenberger 1985; Streeck 2009, 11-14; 2011; 2013, 46-78). Diese Entwicklungen sind seit der Wiedervereinigung sowohl in West- als auch in Ostdeutschland zu beobachten. Die amtliche Statistik definiert atypische Beschäftigungsverhältnisse als Teilzeitbeschäftigungen mit weniger als 20 Stunden pro Woche, geringfügige Beschäftigungen, befristete Beschäftigungen oder Zeitarbeitsverhältnisse. Mindestens eines dieser Merkmale muss zutreffen (Statistisches Bundesamt 2008a, 6). Erweiterte Definitionen rechnen auch Selbstständige ohne Mitarbeiter der Gruppe der atypisch Beschäftigten zu (Keller und Seifert 2013, 14). Für atypische Beschäftigungsverhältnisse gibt es somit eine allgemeingültige Definition, sodass der Anteil der Betroffenen ermittelt werden kann: Im Jahr 1991 waren 14,1 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland einem atypischen Arbeitsverhältnis zuzuordnen, im Jahr 2015 waren es 23,3 Prozent (Statistisches Bundesamt 2017b). Für prekäre Beschäftigungen gibt es dagegen keine allgemeingültige Definition (Keller und Seifert 2013, 15). Die amtliche Statistik definiert prekäre Beschäftigung in Abgrenzung zu atypischer Beschäftigung (Statistisches Bundesamt 2008a, 6). Manche Definitionen prekärer Beschäftigungen stellen subjektive Indikatoren in den Vordergrund (Brinkmann et al. 2006; Castel 2000), andere wiederum objektive Indikatoren (Keller und Seifert 2013, 18-21; Rodgers 1989, 3; Standing 2011, 10). Einige Definitionen integrieren sowohl objektive als auch subjektive Indikatoren (Kraemer 2008; Paugam 2009). Infolge fehlender Maßstäbe, Werte oder Kennzahlen prekärer Arbeitsverhältnisse kann die Zahl der von prekärer Beschäftigung Betroffenen nicht durch amtliche Statistiken belegt werden. Die besondere Relevanz dieser Beschäftigungsformen für das Geburtenverhalten zeigt sich darin, dass vor allem junge Erwachsene von atypischer und prekärer Beschäftigung betroffen sind (z.?B. Böhnke, Zeh und Link 2015, 249; Buchholz 2008; Statistisches Bundesamt 2017a). Somit sind hauptsächlich jene Menschen von atypischer und prekärer Beschäftigung betroffen, die sich in der "Rush Hour des Lebens" befinden, die Lebensphase, in der einerseits die Etablierung auf dem Arbeitsmarkt und andererseits die Familiengründung und -erweiterung erfolgen (z.?B. BMFSFJ 2005, 33-34). 1.1 Fragestellung und Forschungsgegenstand Sind die beschriebenen unsicheren Partnerscha...