Beschreibung
Das flirrende Rom und die Schicksale seiner Bewohner. Meistererzählungen vom italienischen Klassiker Moravias Erzählungen sind literarische Meisterwerke. Kraftvoll und atmosphärisch vermitteln sie ein lebendiges, sinnliches Bild Roms und seiner Bewohner. Die Geschichten im vorliegenden Band spielen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg überall herrscht Aufbruchstimmung, doch auch die Ängste und Nöte der vorherigen Jahre sind noch nicht vergessen. Mit psychologischem Spürsinn und feinem Humor beschreibt Moravia die alltäglichen Tragödien und Komödien der Leute aus dem Volk. Da begegnen dem Leser Taschen- und Tagediebe, liebeshungrige Junggesellen, ungewöhnliche Blumenverkäuferinnen, leichte Mädchen und viele andere unvergessliche Gestalten.
Produktsicherheitsverordnung
Hersteller: Luchterhand Literaturverlag Penguin Random House Verlagsgrup
[email protected]Neumarkter Str. 28
DE 81673 München
Leseprobe
Der Dickschädel Eines Morgens im Juli machte ich gerade ein Nickerchen auf der Piazza Melozzo da Forli, im Schatten der Eukalyptusbäume in der Nähe des ausgetrockneten Brunnens, als zwei Männer und eine Frau auf mich zukamen und mich baten, sie an den Lido di Lavinio zu bringen. Während sie sich überlegten, was sie zahlen wollten, sah ich sie mir genauer an: Blond, groß und dick der eine, ein farbloses, fast graues Gesicht und Augen wie aus himmelblauem Porzellan, die tief in dunklen Höhlen lagen, ein Mann um die Fünfunddreißig; der andere jünger, dunkle, zerzauste Haare, Schildpattbrille, schlaksig, mager, ein Student vielleicht. Die Frau schließlich war geradezu spindeldürr, sie hatte ein langes, schmales Gesicht zwischen zwei Wogen lose herabfallender Haare und wirkte mit ihrem schlanken Körper und dem grünen Kleidchen wie eine Schlange. Doch ihr roter und voller Mund glich einer Frucht, und ihre schönen, schwarzen und leuchtenden Augen waren wie nasse Kohle; sie sah mich auf eine Weise an, daß ich Lust bekam, mich auf das Geschäft einzulassen. Tatsächlich akzeptierte ich den ersten Preis, den sie mir vorschlugen; darauf stiegen sie ein, der Blonde neben mir, die beiden anderen hinten, und los ging's. Ich durchquerte ganz Rom, um die Straße hinter der Basilika San Paolo zu erreichen, welche der kürzeste Weg nach Anzio ist. Bei der Basilika tankte ich voll und bog dann mit Vollgas in die Straße ein. Ich rechnete mir aus, daß es ungefähr fünfzig Kilometer sein müßten; es war halb zehn, wir wären also gegen elf dort, genau die richtige Zeit für ein Bad im Meer. Das Mädchen hatte mir gefallen, und ich hoffte, mit ihm Freundschaft zu schließen: Sie waren nicht besonders vornehm, die beiden Männer schienen dem Akzent nach Ausländer zu sein, Flüchtlinge vielleicht, wie sie in den Sammellagern rings um Rom leben. Das Mädchen dagegen war Italienerin, sogar Römerin, aber auch sie nichts Besonderes: sagen wir Zimmermädchen oder Büglerin oder etwas Ähnliches. Während ich darüber nachdachte, spitzte ich die Ohren und hörte das Mädchen und den Dunkelhaarigen hinten im Wagen miteinander plaudern und lachen. Vor allem das Mädchen lachte, denn es war, wie ich bereits bemerkt hatte, recht liederlich und schlüpfrig, geradezu wie eine betrunkene Schlange. Der Blonde zog angesichts dieses Gelächters unter seiner schwarzen Sonnenbrille die Nase kraus, sagte jedoch nichts, er drehte sich nicht einmal um. Er brauchte ja auch nur in den Rückspiegel über der Windschutzscheibe zu blicken, um genau zu sehen, was hinter ihm vorging. Wir fuhren am Trappistenkloster und dann an der Expo '42 vorbei und schließlich in einem Rutsch durch bis zur Abzweigung nach Anzio. Dort nahm ich das Gas weg und fragte den Blonden neben mir, wohin genau sie denn eigentlich gebracht werden wollten. Er antwortete: "An einen ruhigen Ort, wo niemand ist. Wir wollen allein sein." Ich sagte: "Hier gibt es dreißig Kilometer menschenleeren Strand. Da müßt ihr euch schon entscheiden." Das Mädchen rief von hinten: "Lassen wir ihn doch entscheiden." Ich antwortete: "Was hab' ich damit zu tun?" Doch das Mädchen hörte nicht auf zu rufen: "Lassen wir ihn doch entscheiden", und lachte, als hätte es etwas furchtbar Komisches gesagt. Also sagte ich: "Der Lido di Lavinio ist sehr überlaufen. Aber ich werd' euch an einen Ort nicht weit von hier bringen, wo keine Menschenseele ist." Meine Worte brachten das Mädchen erneut zum Lachen; es schlug mir von hinten auf die Schulter und sagte: "Bravo. du bist intelligent. du hast begriffen, was wir wollen." Ich wußte nicht, was ich von diesem Benehmen halten sollte; einerseits ging es mir auf die Nerven, andererseits ließ es mich hoffen. Der Blonde hüllte sich in finsteres Schweigen, schließlich sagte er: "Pina, ich finde das keineswegs zum Lachen." So fuhren wir denn weiter. Es war sehr heiß, windstill, und die Straße blendete; die beiden hinten im Auto hörten nicht auf zu plappern und zu lachen, doch dann verstummten sie ganz plötz Leseprobe