Beschreibung
Ein verkrachter Sensationsjournalist aus Berlin-Mitte wird von einer Kollegin wegen sexueller Nötigung angezeigt und verliert die Nerven. Er flieht nach Österreich, um einem Prozess zu entgehen. Während das Thema Deutschland in eine hysterische, aufgeheizte Stimmung versetzt, scheint sich in Wien niemand für seine Vorgeschichte zu interessieren. Im Gegenteil: Er erlebt einen verblüffenden sozialen Aufstieg in der Hauptstadt des ehemaligen Weltreichs, den er ausgerechnet einflussreichen Frauen verdankt, die ihn lieben, ja, einen Narren an ihm gefressen haben. Wie Georges Duroy in Guy de Maupassants Roman "Bel-Ami" von 1885 steigt der Protagonist in Joachim Lottmanns "Hundert Tage Alkohol" in der sozialen Hierarchie der in Wien noch intakten großbürgerlichen Bohème immer höher. Was in Berlin zu Anzeigen und Ächtung führte, bringt ihn in Wien erst recht voran. Die Uhren dort gehen anders. Das Nachtleben wird nicht von schlechtem Kokain, Beziehungs-unfähigkeit, neuer Armut und Bisexualität geprägt, sondern vom Alkohol.
Autorenportrait
Joachim Lottmann, geboren 1959, Hamburger in der vierten Generation, Sohn des FDP-Mitbegründers Joachim Lottmann, Enkel des Schiffsmaschinenherstellers Curt Lottmann, Urenkel des Finanzsenators Elias Lottmann (sowie Neffe des Dramatikers Wolfgang Borchert), fühlt sich der Vergangenheit verpflichtet - und gerät dadurch immer wieder mit der neuesten Gegenwart in einen geradezu mörderischen Konflikt. Lottmanns Romane "Mai, Juni, Juli" und "Die Jugend von heute" wurden Bestseller. Für "Der Geldkomplex" erhielt er 2010 den Wolfgang-Koeppen-Literaturpreis. Ebenfalls im Herbst 2011 erschien bei Kiepenheuer&Witsch sein Hauptwerk "Unter Ärzten".
Leseprobe
Erst wohnte ich in einem katholischen Schwesternwohnheim, das den irritierenden Namen "Die drei Schwestern des heiligen Erlösers" trug. Da die christlichen Kirchen im Niedergang befindlich sind, ja seit Jahrzehnten auf dem Sterbebett liegen, störte sich niemand an meiner Person, meiner Konfession, meinem Geschlecht. Ich gab lediglich an, ein einfacher Reisender und Christ aus dem Norden Deutschlands zu sein und ein Bett zu benötigen. Ich erwarte nicht viel, murmelte ich, ängstlich meine Alkoholfahne verbergend, nur die Messe am Tag des Herrn sei mir unverzichtbar. Bei dem Ausdruck "Tag des Herrn" verzog die Frau an der Rezeption seltsam das Gesicht. Eine Atheistin, sogar hier? Jedenfalls blieb ich eine Woche und fühlte mich wohl
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