Beschreibung
Die Publikationen von Pierre Bourdieu gehören heute zu den Standardwerken in Wissenschaft und Studium, seine fotografischen Arbeiten hingegen sind kaum bekannt. Pierre Bourdieus fotografische Dokumentationen entstanden zwischen 1958 und 1961 während seiner Feldforschungsarbeiten in Algerien. Sie geben einen tiefen Einblick in sein 'frühestes und zugleich aktuellstes Werk' (Bourdieu). Algerien wurde in einem außergewöhnlich brutalen Kolonialkrieg tief erschüttert und von Anachronismen und sozialen Widersprüchen zerrissen. In diesem, wie Pierre Bourdieu selbst sagte, 'gesellschaftlichen Laboratorium' kristallisierte sich Ende der Fünfzigerjahre seine Bestimmung zum Beruf des Soziologen heraus. Die Fotografien vom veränderten Alltag der durch Krieg, Deportation und soziale Unterwerfung geschundenen Landbevölkerung waren für den jungen Pierre Bourdieu Erinnerungshilfen: 40 Jahre lang bewahrte er rund 2.000 Schwarzweißfotos in verstaubten Schachteln auf. Pierre Bourdieu hat sein Archiv von Fotografien mit dem Wunsch übergeben, es in einer Ausstellung und einer Publikation der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In enger Zusammenarbeit von Pierre Bourdieu, Franz Schultheis (Fondation Pierre Bourdieu/Genf) und Christine Frisinghelli (Camera Austria/Graz) wurden die fotografischen Dokumente gesichtet und strukturiert und zu zeitgleich in Algerien entstandenen ethnografischen und soziologischen Studien in Beziehung geSetzt. Pierre Bourdieu hat das fertige Projekt nicht mehr erlebt, er starb im Jahre 2002. Das vorliegende Buch und die begleitende Wanderausstellung zeigen die historischen, politischen, wissenschaftlichen, aber auch die biografischen Zusammenhänge, in denen seine Arbeiten entstanden. Die spät entdeckten Fotos von Pierre Bourdieu waren letztlich nicht nur Arbeitsinstrumente, sondern auch eine Form des politischen Engagements für Algerien. Seine Botschaft von der Entwurzelung ist nach wie vor eine traurige Wahrheit. Seit 2003 reist eine posthume Schau von über 150 Aufnahmen mit Auszügen seines wissenschaftlichen Werks um die Welt. Sie war bereits in Frankreich, Österreich, Japan, Korea, England, Schweden, Slowenien, in der Schweiz, in Algerien, den USA, der Türkei und in verschiedenen Städten Deutschlands zu sehen, unter anderem in den Hamburger Deichtorhallen. 2009 werden die Fotografien in einer gemeinsamen Ausstellung der Universitäten Konstanz und St. Gallen in Konstanz gezeigt. 'Bourdieus fotografische Studie ist Anklage und Forschungsarbeit in einem - ein Abbild der gesellschaftlichen (Un-)Ordnung und der sie konstituierenden feinen Unterschiede.' (Tages-Anzeiger) 'In langen Serien leiser, diskreter Bilder dokumentierte er detailliert die dissonanten Realitäten von Zwangsumsiedlung, Arbeitsmigration und Entfremdung durch den cultural lag.' (Frankfurter Allgemeine)
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Autorenportrait
Pierre Bourdieu (* 1. August 1930 in Denguin, Pyrénées-Atlantiques; gestorben 23. Januar 2002 in Paris) war einer der bekanntesten Soziologen des 20. Jahrhunderts. Er studierte Philosophie in Paris an der École Normale Supérieure. Mit einem Buch über den Aufenthalt in Algerien 1958 - 1960 ("Die zwei Gesichter der Arbeit") begründete er seine Reputation als Soziologe. Seit 1981 hatte Bourdieu einen Lehrstuhl am Collège de France. Im Jahre 1993 wurde er mit der "Médaille d'or du Centre National de la Recherche Scientifique" (CNRS) ausgezeichnet. Pierre Bourdieus soziologische Forschungen, zumeist im Alltagsleben verwurzelt, waren vorwiegend empirisch orientiert. Er war bekannt als politisch interessierter und aktiver Intellektueller, der sich gegen die herrschende Elite und den Neoliberalismus wandte. Franz Schultheis ist Professor am Institut für Soziologie der Universität St. Gallen und Präsident der Stiftung Pierre Bourdieu, St. Gallen. Er ist Vizepräsident des Schweizer Wissenschafts- und Technologierates, gibt die Reihe édition discours und die Schriften Pierre Bourdieus bei UVK heraus und leitet das europäische Forschungsnetzwerk ESSE (Pour un espace des sciences sociales européen).