Beschreibung
In seiner autobiographischen Erzählung setzt sich Peter Wawerzinek mit den Landschaften, Orten und Personen seiner Kindheit auseinander, einer Kindheit, die einmal durch Heimaufenthalte und Adoption, zum anderen aber auch durch die hartnäckig-dörfliche Atmosphäre Mecklenburgs und seiner wortkargen Bewohner geprägt war. Eine Kindheit in den fünfziger und sechziger Jahren auf dem Lande, merkwürdig wenig beeinflusst von den polititschen Umständen, so als ob der Eigensinn der Mecklenburger, ihre berühmte schlitzohrige Verstocktheit alle Ansinnen von Partei und Politik abprallen ließ. Peter Wawerzinek erinnert in seiner assoziationsreichen, überraschenden Sprache, in einem pointiert komponierten Bündel von Beobachtungen, Skizzen und Porträts an eine Landschaft und an eine Zeit, die dörflich verschlafen erscheint, aber viele Abenteuer und menschliche Sonderbarkeiten bereithielt für einen, der genau beobachten kann. Eine ruhige, dichte Erzählung, die Beschreibung einer Kindheit, einer spröden Landschaft und ihrer eigenwilligen Menschen.
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Autorenportrait
PETER WAWERZINEK, geboren 1954 in Rostock, aufgewachsen in Rerik und Bad Doberan, Lehre als Textilzeichner. 1978 Umzug nach Ost-Berlin. Studium an der Kunsthochschule-Weissensee. Verschiedene Jobs, u.a. als Briefträger und Kellner bei der Mitropa. Gleichzeitig war er bereits in den Achtzigerjahren als Performance-Künstler und Stegreifpoet aktiv und unter dem Namen 'ScHappy' in der Ost-Berliner Literatenszene. Peter Wawerzinek veröffentlichte nach der Wende als eine Sammlung von Parodien zur DDR-Literatur. Im TRANSIT Buchverlag erschienen 'Das Kind das ich war' (1994), 'Mein Babylon' (1995), 'Café Komplott' (1997), 'Sperrzone' (2000) und 'Das Meer an sich ist weniger' (2001). Peter Wawerzinek lebt in Berlin.
Leseprobe
M eine Heimat ist Mecklenburg. Meine Vaterstadt Grimmen. Meine Muttersprache wohnt in der Gesichtsfarbe der wetterfesten Bauern. Von den Tieren auf dem Wasser habe ich meine Fröhlichkeit. Den Schollen im Wasser verdanke ich meinen Ernst. Die Traurigkeit der Quallen nahm mich bei der Hand. Ich bin ein Liebhaber von geborgenen Feuern, wie sie in den Räuchertonnen der Fischer lodern. Und ich kann, zwischen Steinen hingestreckt, die Nacht am Meer ausharren. Ich bin ein großer Wolkengucker. Ich wurde geboren und weigerte mich, zu atmen. Mein Puls ging mit den Jahreszeiten. Als ich ins Heim gesteckt wurde, war ich ein zarter Same, ein nichtiges Korn im Sand. Ich wuchs auf. In einer Natur mit steifem Nord und Nordost. Mit hartnäckigen Windböen gespickt, kamen meine Jahre. Als die Rostocker Innenstadt wiederaufgebaut und Wiesen trockengelegt wurden. Wo die zukunftsweisenden Zauberworte Melioration und Rinderoffenställe waren. Gebilde, von denen Bauer Pöschke sagte: Is schon schlimm, daß man nicht recht aussprechen kann, was einem zudem nicht recht in den hohlen Kopf gehen will. Da woher ich komme, geben windschiefe Krüppelkiefern am steilen Ufer der Landschaft ihre Note. Die Postfrau wußte alles und kannte jeden und stand viele Stunden mit den Leuten herum. Um alles und jedes zu bereden. Da woher ich bin, hält man sich Schweine und bernsteinfarbene Hühner. Ruf die Hühnchen, daß sie kommen, bring ihnen Körner als Willkommen. Seltener Schafe. Wie der Böttchermeister zu Kröpelin. Dem zwei wollige Knäuel im Kampf gegen die hartnäckige Brennessel zur Seite standen. Die Kinder der Leute trugen blonde Schöpfe und waren in ihrem Gesicht von Sehnsucht gezeichnet. Man munkelte, sie wären zu nachtschlafender Zeit über dem erleuchteten Mondsee erschienen. Mit wallendem Haar, jedes auf einem Stück Holz, in großer Schar. Ein Teesieb zum Segel umfunktioniert. Irgendein Gerät von Omas Spindel als Ruder. Die Söhne der Leute in Mäkelborg wurden, was die Väter waren. Die Väter der besseren Söhne waren Bauern oder Arbeiter. Die Arbeitersöhne werkelten am Rande des Ortes in einer niedrigen Metallfabrik. In den dunklen Hallen schweißten sie, wenn der Plan erfüllt war, Gartenzäune und schnörklige Kerzenständer, später sogar originalgetreue Schaukeln namens Hollywood. Die Haut der Töchter der Väter war lichtweiß, wie aus Sand vom hellen Strand gebacken gingen sie im Dorf um. Als träumten sie durchweg von einem eigenen Frisiersalon. Die meisten von ihnen wollten Mannequin werden und hatten im schönsten Sommer noch die dicken Strumpfhosen zu ertragen. Die Töchter der molligen Fischerinnen waren schlank und biegsam. Geradeso, als könnten sie durch sämtliche Schlüssellöcher gehen. Die Mütter und ihre zierlichen Töchter hatten gewöhnlich Sommersprossen und eine gräßliche Aussprache. Sie saßen im Hof und schauten den Vätern beim Netzeflicken zu. Die Männer der bolzigen Frauen trugen über ihren dicken Joppen lange Schürzen. Brüchige Lackumhänge, an denen getrocknete Fischschuppen flimmerten. Die Väter unserer Väter, sagten die Söhne der Väter voller Stolz, stachen wie deren Väter immer schon in See. Weit vor dem Sonnenaufgang zogen sie mit ihren Netzen Fische ans Land. Der Fischer Scheller sang: Im Wasser schwimmen die Fischlein herum. Bald sind sie grad, dann wieder krumm. Mal fingen die Fänger viel. Mal kriegten sie nur ein paar Schollen zu fassen. In schlechten Zeiten verfingen sich ausschließlich Muscheln und Krebse in den engen Maschen. Von den Fischern hieß es, sie seien die gebildetsten Mannen vonner Küst all Tied wast, weil sie früher schon besser als der Pastor schreiben und vor allem gut rechnen konnten und ne Menge aus den Atlanten der See zu lesen verstanden, ohne daß die Schule nachzuhelfen brauchte. Die Kinder vom Fleischer hingegen waren dick und ungemütlich. Ihre Pausenbrote waren extraordinär und prall belegt. Sie waren in der Schule denkbar schlecht. De süln rechens liern, dat langt hin, um das Geschäft zu übernehmen, sagte der Fleischer jedem, ders fast schon nicht mehr hören konnte. Die Frau des Fleischers ging beschämt achtern, wenn der Fleischer vor all den Kunden so ungeniert, was Pauker im Dorf war, heruntermachte. Der unfaßbar wetternde Metzger hatte es besonders auf das Frauenvolk der Lehrer abgesehen. Nervenaufreibende Puten, die sich zierten und mäkelten: Das wird meinem Gatten wohl doch nicht zusagen. Meine Haut war vom Sand blankgerieben. In meinen Knochen rauschte das Meer. Meine Hände waren auf dem Rücken gerifft. Hinter den Ohren wuchs mir türkises Moos. Meine Lippen schmeckten nach Salz. Meine Füße gingen im Schaum. Die Gischt war bisweilen wie Eigelb getönt. Ich trug die Wolken als Schmuck auf dem Kopf. Mein war der Sterne Wimmern. Mir galt der totenstille Teil der Nacht. Ich vernahm die Schreie der Versunkenen aus der Meerestiefe. Ich hielt gestrandete Quallen in meinen Armen und wiegte sie in den ewigen Schlaf. Das Böse schlug wie Wellen auf mich ein und glitt mir wie Wasser den Buckel herunter. Der Figaro des Dorfes war ein lautloser, hündisch nickender Mann. Außen Hui und innerlich Pfui. Ein durchtriebener, verräterischer Kadaver. Er band einem den steifen Umhang wie eine Fessel um. Ließ sich zum Hohne sagen, wie man sich die Frisur vorstellte. Ehe er: Ay, ay, verstanden Sir! machte und zack war man wieder wie stets viel zu hoch überm Ohr zur Bombe ausbarbiert. Ein untertäniger Lump, mit bösen Mächten im Bunde, die wild um sich spien gegen die neuerlichen Moden, denen wir zu frönen suchten. Unbeschreiblich, wie die Alten gegen Zottelköppe donnerten und blitzten. Wir aber wollten mit den Beatles wachsen. In der Bank vor mir saß dann einer, dessen Eltern nicht erlaubten, daß er Pionier wurde. Sie sollen schriftlich ausgeführt haben, daß ihr Bürschchen ohne die langen Haare segelohrendumm wirke. Die Männer meines Landstriches hatten grobschlächtige Prankenhände und konnten zupacken. Wenn sie wollten, ein Pferd im Galopp sperren. War nichts zu tun in der Fabrik, lagen sie mit freien Oberkörpern wie Tote in der Gegend. Mittwochs um eins brüllten die Sirenen. Die Sirene unseres Dorfes schrie mit den Sirenen der Nachbardörfer um die Wette. Nach getaner Arbeit saßen, wo ik tau Hus wier, die Männer in der kargen Eckkneipe. Gegenüber, wo früher der alte Kaufmannsladen und die blauweiß gekachelte Fleischerei standen. Man wendete sich gern dem Spiele zu und genoß die Völlerei. Man hockte unter allerlei Seemannskram und haute sich die Hucke voll. Man sah schon die ölige Geschmacklosigkeit, die ein Heimatmaler gepinselt hatte, der das Meer nicht gut malte. Was einem besonders ins Auge stach, wenn man längere Weile gedankenverloren auf die Leinwand blickte. Es hieß, der Kunstschaffende habe null Ahnung von der Seefahrtskunst. Denn auf dem Bild, das den Fischern impertinent in die Birnen stieg, grad wenn sie Bier und Korn schluckten, hatte das Mannsstück ein Fähnlein am Mast gegen den Wind wehend ausgeführt. Die jungen Burschen, den Modder ihrer Dreckswege am Stiefelschaft, schlurften herein und warfen ihre Mützen in die Kleiderablage. Sie klopften mit den Fingerballen auf die Tischplatten, setzten sich auf ihre angestammten Stühle und droschen prompt Karten. Die jungen Kerle tranken wie ihre Väter. Sie soffen bi Nacht un Dach das flüssige Brot in heftigen Zügen. Sie redeten die ersten Jahre noch recht flott und manchmal regelrecht viel und wurden mit der Zeit immer stummer, bis sie zu guter Letzt so mundfaul wie ihre Vorfahren im Gastraum griesgramten. Die Söhne der Bauern waren schlimme Lümmel. Nichts Verwerfliches war ihnen fremd. Die Bauernjungen waren Tage zwischen Bohnen, Kohl und Karotten in den Furchen und wußten nicht, daß man Gemüse nie mit dem Messer, sondern immer mit der Gabel zerteilte und frisches Obst mit einem Obstmesser aufgeschnitten wird. Was Wunder, daß sie den Mädchen frühzeitig hinter die Röcke jagten. Und den Küster bis auf Jesus Knochen reizten. Und mit den Beinen in einem Brei aus Lehm und Kuhmist zusehends alt wurden...