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Die Nonne von Monza

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Erschienen am 31.05.2013, 1. Auflage 2013
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783944561134
Sprache: Deutsch
Umfang: 180 S.
E-Book
Format: EPUB
DRM: Adobe DRM

Leseprobe

Hinweis: "Die Nonne von Monza" wurde nach professionellen Standards sorgfältig gesetzt. Das Satzbild indieser Datenbankansicht erreicht dieses Niveau nicht.Wo sind wir überhaupt? Unser Autor sagt es nicht, ja, er beharrt sogar darauf, es zu verschweigen. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass es damals zweierlei Arten von Menschen gab, die vorsichtigen und die verbrecherischen, die furchtsamen und die furchterregenden, und dass er zu den ersten gehörte. An dieser Stelle der Erzählung wird allerdings seine scheue Verschwiegenheit doppelt groß; und das erklärt sich aus den weiteren Begebenheiten.Die Erlebnisse Lucias an ihrem neuen Aufenthaltsort sind das Werk dunkler, versteckt angelegter, geheimnisvoller und furchtbarer Machenschaften, deren Urheber sehr mächtig gewesen und eine weit verzweigte Verwandtschaft gehabt haben müssen. Und der Autor kämpft einesteils mit dem Wunsch, alles zu erzählen, was er weiß, und andernteils mit der Angst, etwa Familien beleidigen zu können, gegen die aufzubegehren ein auf dieser Welt strafwürdiges Vergehen ist. Deshalb bewegt er sich mit äußerster Vorsicht und unterlässt in der Schilderung der Ereignisse alle Angaben, einschließlich der Ortsangaben, die dazu dienen könnten, die wahren Personen zu entdecken. Doch zumindest an dieser Stelle war er darin nicht geschickt genug, und wir können daher mit Sicherheit den Ort bezeichnen, wo Lucia Aufenthalt nahm. Der Autor hat uns nämlich, ohne dass er es selbst merkte, einen Schlüssel in die Hand gegeben, mit dem sogar ein Kind alles entdecken würde. So sagt er einmal, dass Lucia in einen alten und ehrwürdigen Ort kam, dem zur Stadt nur noch der Name fehlte; dann spricht er vom Lambro, der dort durchfließt, und schließlich auch von einem Erzpriester. Bei so vielen Angaben gibt es in ganz Europa keinen Menschen, der des Lesens und Schreibens kundig ist und nicht sofort ausruft: Monza.Nachdem Fermo fortgegangen war, blieben also Mutter und Tochter ganz allein im Gasthaus von Monza zurück. Sie besaßen keinerlei Ortskenntnisse, hatten auch keine Bekannten und verfügten auf so hoher See über keinen anderen Kompass als den Brief des Paters Cristoforo. Dieser Brief war an den Pater Guardian der Kapuziner gerichtet. Agnese fragte also die Wirtin nach dem Kloster. Aber die gab erst Auskunft, nachdem sie auf alle Arten versucht hatte, durch Angaben über Namen und Stand der Frauen, über die Gründe ihrer Reise und über die Angelegenheit, die sie zum Pater Guardian führen konnte, einen Vorschuss auf ihre so unbedeutende Dienstleistung zu erhalten. Doch die Frauen, denen ihr Beschützer Verschwiegenheit ans Herz gelegt hatte, konnten den Fragen der Wirtin ausweichen, sodass diese ihnen den Weg zum Kloster zeigen musste, ohne auf ihre Kosten gekommen zu sein. Sie brachen unverzüglich auf, obwohl sie noch die Strapazen der Nacht und des vorangegangenen Tages fühlen mussten: Ein gehetzter Hase merkt die Müdigkeit erst, wenn er einen Unterschlupf gefunden hat. Agnese, für die der Anblick Monzas weder neu (denn sie war vor vielen Jahren einmal hier durchgekommen) noch überwältigend war (denn sie hatte sich auch schon in Mailand aufgehalten), schritt frei weg und führte und ermunterte Lucia, die sich voller Scheu immer dicht an den Mauern hielt. Als sie so Straße um Straße durchschritt und nach jeder Biegung wieder neue Straßen und neue Häuser sah, wurde Lucia von Staunen und Beklommenheit erfasst, wie es jemandem ergeht, der etwas Großartiges und zugleich Furchtbares sieht. Doch das in ihr vorherrschende Gefühl der Trauer und des Entsetzens gab ihren Empfindungen keinen Raum und ließ sie überhaupt nicht klar und deutlich in Erscheinung treten.Als sie die Klosterpforte erreicht hatten, zogen sie die Glocke und sagten dem heraustretenden Pförtner, dass sie den Pater Guardian sprechen und ihm einen Brief übergeben möchten. Sowie Lucia eine Kapuzinerkutte erblickte, kam sie sich in vertrauter Umgebung vor und beruhigte sich ein wenig. Der Pater Guardian ließ nicht lange auf sich warten, begrüßte die Frauen und nahm den Brief aus den Händen Agneses entgegen. Kaum hatte er die Anschrift gelesen, da rief er auch schon freudig aus: 'Ach, mein Pater Cristoforo!' Sie waren nämlich zusammen Novizen gewesen, und von da an verband sie eine klösterliche Freundschaft. Ich meine damit eine herzliche, tiefe, mehr als brüderliche Freundschaft, so eine Freundschaft etwa, wie sie von einigen wenigen Männern der Antike überliefert wird und wie sie sich in all den Gemeinschaften bildet, die wegen besonderer Aufgaben von der übrigen menschlichen Gesellschaft getrennt leben. Diese Gruppen und kleinen Verbände schlingen um alle ihre Mitglieder ein besonderes Interessenband der kollektiven Eigenliebe und des kollektiven Wohlwollens; es ist ein Band, das wohl manchmal ziemlich schwach ist und nicht ausreicht, um bitteren und tödlichen Hass zu unterdrücken, aber auf der anderen Seite wieder fest genug ist, ihn auf das Innere der kleinen Gemeinschaft einzuschränken und den gleichen Menschen, die sich hassen, jedes Mal dann, wenn sie sich im Gegensatz zu Außenstehenden befinden, Haltung und Benehmen von Freunden zu verleihen. Entsteht dann aufgrund gleicher Ansichten und Interessen eine Freundschaft zwischen zwei Mitgliedern solcher Gemeinschaften, dann ist diese nur umso stärker, je kleiner die Zahl der ohnehin schon von den übrigen Menschen Getrennten ist.Der Pater Guardian öffnete den Brief, hob von Zeit zu Zeit die Augen und sah Lucia und ihre Mutter voller Mitleid und Anteilnahme an. Als er mit dem Lesen fertig war, schüttelte er ein wenig den Kopf und sprach dann wie jemand, der hofft, das Richtige gefunden zu haben:'Da kommt eigentlich nur die Herrin in Betracht, das heißt, wenn die Herrin dazu bereit sein will?' Dann stellte er Agnese mit leiser Stimme einige Fragen, die sie beantwortete, und sagte schließlich: 'Wollt Ihr mir folgen? Ich hoffe einen Platz gefunden zu haben, wo ich dieses brave Mädchen sicher unterbringen kann.'Die Frauen erklärten sich zu allem bereit, was er vorschlagen würde, und so sagte dann der Pater:'Kommt mit, doch geht einige Schritte hinter mir, denn seht, hier sind die Leute boshaft, und weiß Gott, was man daraus machen würde, sähe man den Pater Guardian mit einer hübschen Jungfrau, ich will sagen, mit Frauen zusammen auf der Straße.' Lucia errötete und folgte ihm dann mit der Mutter in der Entfernung, die er angegeben hatte.Am Klostereingang blieb der Guardian stehen, wartete auf sie, empfahl sie der Frau des Gutsverwalters, die sie in ein Zimmerchen führte, das zur Straße gelegen war, und schritt im Hof weiter, nachdem er versprochen hatte, in wenigen Augenblicken wieder zurück zu sein.Das Verhör der 'Verwalterin' war, wie zu erwarten, viel gebieterischer, durchtriebener und eindringlicher als das der Wirtin. Und Agnese, die nur mit Mühe parierte, legte sich gerade eine Geschichte zurecht, weil sie sah, dass sie unbedingt etwas erzählen musste, als zum Glück der Pater Guardian mit strahlendem Gesicht zurückkam und den Frauen verkündete, dass die Herrin sie zu empfangen geruhe. Die Verwalterin entließ sie mit einem ärgerlichen Seitenblick auf den Guardian, der sie durch sein Kommen um eine Beute gebracht hatte, die ihr schon in die Schlinge gehen wollte.Während sie den Hof überquerten, belehrte der Pater Guardian die Frauen, wie sie sich vor der Herrin zu verhalten hätten:'Seid bescheiden und ehrerbietig, empfehlt Euch ihrem Schutz, antwortet schlicht auf alle Fragen, die sie Euch stellen wird, und wenn Ihr nicht gefragt seid, dann lasst nur mich tun.'Agnese und Lucia erwarteten mit vielen Hoffnungen und vielen Sorgen die Vorstellung bei dieser Herrin, besaßen aber nicht den Mut, den Pater zu fragen, wer sie überhaupt sei. Wahrscheinlich wird ein Leser unserer Zeit nicht so bescheiden sein; um seinen Unwillen nicht herauszufordern, müssen wir ihm also sagen, wer die Herrin gewesen ist. Allerdings könnte man ihm, wie man es mit dem allzu Ungeduldigen zu tun pflegt, auch eine Antwort geben, die seine Neugier zwar befriedigt, aber doch nur das sagt, was nicht verschwiegen werden kann. Die Herrin war eine junge Dame fürstlicher Abstammung, die schon als Jugendliche in dieses Kloster gekommen war, und die hier den Schleier genommen und die Gelübde abgelegt hatte. Ihr waren die Mädchen anvertraut, die im Kloster erzogen wurden, und ihr Titel wäre eigentlich der einer Zöglingsvorsteherin gewesen. Aber wegen ihrer Abstammung, wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen und wegen der Überlegenheit, die ihr dies alles vor den anderen Nonnen gab, wurde sie nie anders als 'die Herrin' genannt. Und alle begegneten ihr mit Ehrerbietung als der Beschützerin und der Fürstin des Klosters. Und, was eine einzigartige Auszeichnung bedeutete, zwei Nonnen waren zu ihren Diensten bestellt und bewohnten mit ihr ein kleines Appartement, das ihr statt einer Zelle zur Verfügung stand. Ihre Protektion und ihr Einfluss erstreckten sich über die Klostermauern hinaus. Auch die Kapuziner, die von Generation zu Generation, oder, besser gesagt, von Vestitur zu Vestitur seit undenkbaren Zeiten in freundschaftlichen Beziehungen zum Kloster standen, genossen diese Protektion. Deshalb hoffte also der Pater Guardian sofort auf die Herrin und deshalb wird Lucia nun vor sie geführt.Vom Hof aus traten sie in ein Zimmer zu ebener Erde und von dort in das Sprechzimmer. Bevor sie ihren Fuß über die Schwelle setzten, deutete der Pater Guardian auf die offene Tür und flüsterte den Frauen zu: 'Dort ist die Herrin', wie um sie an all die Ermahnungen zu erinnern, die sie beherzigen sollten. Lucia hatte noch nie ein Kloster gesehen: Sie trat voller Schüchternheit ins Sprechzimmer, schaute sich um, um die Herrin zu suchen, vor der sie sich verbeugen sollte, und da sie niemanden finden konnte, blieb sie auf der Stelle stehen wie jemand, der sein Gedächtnis verloren hat. Da sah sie, dass der Pater geradewegs auf eine Stelle zuging und dass Agnese ihm folgte, hob die Augen und erkannte nun eine Öffnung, halb so hoch wie ein Fenster, fast doppelt so breit und mit einem zweifachen Gitter versehen, das zwar jeglichen Zutritt ins Nachbarzimmer verwehrte, es aber den Blicken doch fast ganz freigab. Hinter dem Gitter sah sie die Herrin stehen und machte eine tiefe Verbeugung vor ihr, wie es die beiden anderen bereits getan hatten.Die Herrin war von einer angegriffenen, ein wenig verblühten und, beinahe möchte ich sagen, etwas unsteten, doch eigenartigen Schönheit, und mochte 25 Jahre alt sein. Ein waagerecht über den Kopf gebundener schwarzer Schleier fiel ihr zu beiden Seiten des Gesichts hinab, und unter dem Schleier umschloss ein Leinenstreifen die Stirn bis zur Mitte; die andere Hälfte, die sich unbedeckt, aber nicht weniger weiß als der Streifen zeigte, schien schneeweißes, von einem hellen Blatt Papier eingerahmtes Elfenbein zu sein. Doch jene glatte und hohe Stirn runzelte sich von Mal zu Mal, wenn zwei tiefschwarze Augenbrauen einander näher kamen, um sich gleich wieder in rascher Bewegung zu trennen.Zwei ebenso tiefschwarze Augen hefteten sich, herrisch forschend, hie und da auf das Gesicht des anderen und wandten sich ebenso plötzlich wieder ab, wie um zu fliehen. In ihren Augen lag eine unbestimmbare Unruhe und Unstetigkeit und ein flüchtiger, gleich wieder verlöschender Ausdruck, der etwas Lebendigeres, Verborgeneres und dem Klang der Worte, die jene Blicke begleiteten, zuweilen Entgegengesetztes verriet.Die sehr bleichen, aber zarten Wangen verjüngten sich in sanftem und ebenmäßigem Schwung zu einem, wie bei einer griechischen Statue kaum heraustretenden Kinn. Die Lippen waren sehr regelmäßig geformt, hoben sich sanft hervor und zeichneten sich, obwohl sie mit ihrem zarten Rot kaum Farbe besaßen, deutlich auf ihrer bleichen Umgebung ab, und ihre Bewegungen waren wie die der Augen, lebhaft, unerwartet, voller Ausdruck und Geheimnis.Ein weißes, gefaltetes Collar gab einen Teil ihres hellen, wohlgeformten Halses frei, und der schwarze Talar umhüllte die ganze übrige hochgewachsene Gestalt, die ein ungezwungenes, doch sicheres Gehaben zur Schau trug, und ließ bei jeder Bewegung Formen von edlen und regelmäßigen Proportionen erkennen. In der Art der Kleidung selbst lag hier und dort etwas Betontes oder Nachlässiges, kurz, etwas Eigentümliches, das, zusammen mit dem Ausdruck ihres Gesichtes, der Herrin das Aussehen einer eigenartigen Nonne verlieh. Collar und Schleier waren aus einem feineren Stoff gewirkt, als ihn sonst Nonnen zu tragen pflegen, der Busen war mit einer gewissen weltlichen Anmut gehoben, und aus dem Stirnband schaute an der linken Schläfe eine tiefschwarze Lockenspitze heraus; ein Zeichen von Vergesslichkeit oder Nichtbeachtung der Klosterregel, nach der die Haare, die ja schon während der feierlichen Einkleidungszeremonie abgeschnitten wurden, immer kurz zu halten waren.Die gleichen Besonderheiten konnte man in den Bewegungen, in der Sprache, in den Gesten der Herrin beobachten. Manchmal stand sie mitten in der Rede mit solchem Ungestüm auf, als fürchtete sie, im gleichen Augenblick festgehalten zu werden, und lief im Sprechzimmer hin und her; manchmal brach sie in unbeherrschtes Lachen aus, manchmal hob sie ohne ersichtlichen Grund die Augen und seufzte; manchmal kehrte sie aus einer langen, ganz klar ersichtlichen geistigen Abwesenheit zurück und stimmte dann nachlässig irgendwelchen Dingen zu, die ihr Verstand gar nicht aufgenommen hatte.Lucia, die ja keine Erfahrung darin hatte, eine Nonne von der anderen zu unterscheiden, konnte dies alles nicht bemerken und auch Agnese nicht. Das Auge des Paters Guardian war freilich geübter, aber gerade darum daran gewöhnt, bei den Großen ohne Verwunderung immer etwas Außergewöhnliches wahrzunehmen. Und so hatte sich der Pater schon lange an die Kleidung und das Benehmen der Herrin gewöhnt. Doch einem Fremden, der sie etwa zum ersten Mal gesehen hätte, wäre sie vielleicht einer dreisten Schauspielerin nicht unähnlich erschienen, und zwar einer von denen, die in den außerhalb der katholischen Gemeinschaft stehenden Ländern die Rolle der Nonne in den Komödien spielen, in denen die katholischen Riten dem Spott und der krassen Parodie ausgesetzt werden.In jenem Augenblick stand sie, wie wir schon sagten, hoch aufgerichtet am Gitter, hielt die eine Hand sanft darauf gestützt und die schneeweißen Finger im Gitterwerk verflochten. Mit leicht geneigtem Kopf musterte sie die Ankömmlinge, besonders Lucia.'Ehrwürdige Mutter, edelste Herrin', sagte der Pater Guardian mit gebeugtem Haupt und hatte dabei seine rechte Hand auf die Brust gelegt, 'hier ist das unschuldige und schutzlose Mädchen, für das ich Eure hohe Protektion erbitte.' Während er die letzten Worte sprach, machte er den Frauen Zeichen, seine Bitte durch Verneigungen oder sonstwie zu unterstützen.Die arme Agnese gab dem Pater durch ihr Mienenspiel zu verstehen: 'Ich weiß schon, was sich gehört', und verdoppelte ihre Verneigung; sie beugte sich und straffte sich, als sei sie von einer inneren Feder getrieben. Auch Lucia verneigte sich auf eine wenn auch ungeübte, so doch irgendwie graziöse Art, die Schönheit, Jugend und Herzensreinheit allen Bewegungen verleihen. Die Herrin nickte dem Pater Guardian kurz zu, bedeutete den Frauen mit einer Handbewegung, dass es gut sei und dass sie ihre Komplimente mit Wohlwollen aufgenommen habe, machte allen ein Zeichen, sich zu setzen, und setzte sich selbst. Dann antwortete sie, immer zum Pater gewandt:'Von meinen Vorfahren habe ich gelernt, niemandem die Protektion zu versagen, der sie verdient; ich habe von ihnen nichts mehr als den Namen geerbt und freue mich, dass auch das wenigstens zu etwas gut sein kann. Ich schätze mich glücklich, unseren guten Freunden, den Kapuzinerpatern, einen Dienst erweisen zu können.'Diese Worte wurden von einem Lächeln begleitet, das dem einen als freundlich, dem anderen als spöttisch hätte erscheinen können. Der Pater Guardian wollte sich schon bedanken, doch die Herrin unterbrach ihn:'Keine Komplimente, Pater Guardian; die den Freunden erwiesenen Dienste ziehen ihre Belohnung nach sich. Im Übrigen zweifle ich keineswegs, auf den Gegendienst unserer guten Patres rechnen zu können. Die Welt ist voll schlechter und neidischer Menschen, und niemand kann wissen, ob nicht einmal ein Augenblick kommt, in dem man ein gutes Zeugnis und Hilfe benötigt.'Der Pater Guardian antwortete beflissen mit einem ganzen Satz von Gesten, dessen erster Teil besagte, dass die Herrin niemals auf die Hilfe irgendeines Menschen angewiesen sein werde, und der zweite, dass für die Patres jede Gelegenheit, der Herrin eine Gefälligkeit zu erweisen, eine Ehre sei. Diese fuhr fort:'Schon gut. Berichten Sie mir etwas Näheres über die Sache dieses Mädchens. So wird man besser erkennen, was für sie getan werden kann.'Lucia wurde ganz rot im Gesicht und senkte ihren Kopf auf die Brust.'Sie müssen wissen, ehrwürdige Mutter', begann Agnese, 'dass meine arme Tochter, ich bin nämlich ihre Mutter 'Der Guardian warf ihr einen Blick zu und unterbrach sie.'Dieses Mädchen, erlauchteste Herrin, ist mir von einem Mitbruder empfohlen worden. Sie braucht für einige Zeit eine Zuflucht, wo sie unerkannt bleiben kann oder wo niemand es wagt, ihr nahezutreten; dies, um sich großen Gefahren zu entziehen.''Gefahren!', meinte die Herrin. 'Bitte, welche Gefahren, Pater Guardian? Erzählen Sie mir die Sache genau: Sie wissen, dass wir Schwestern auf Geschichten sehr begierig sind.''Das sind', antwortete der Pater, 'Gefahren, die die ehrwürdige Mutter nicht einmal dem Namen nach kennt, und sie ist darum glücklich zu preisen! Näheres darüber zu sagen, hieße Eure reinsten Ohren beleidigen und die Makellosigkeit Eurer Gedanken trüben, erlauchteste Herrin.''Oh! Sicherlich!', antwortete hastig die Herrin, ohne viel darauf zu achten, ob die Antwort angebracht war, und errötete dabei. War es Scham? Hätte jemand den flüchtigen, aber lebhaften Ausdruck von Spott und Hohn bemerkt, der jenes Erröten begleitete, hätte er wohl daran zweifeln können; und der Zweifel wäre durch einen Vergleich mit dem Erröten, das Lucia von Zeit zu Zeit in die Wangen stieg, nur bestärkt worden.Die Herrin erhob sich hastig, wie um sich den Frauen noch mehr zu nähern, und wollte gerade Lucia ansprechen, als der Pater Guardian, der befürchtete, sich nicht recht verständlich gemacht zu haben, von Neuem begann:'Nicht alle Großen der Welt bedienen sich der Gaben Gottes zu Seiner Ehre und zu Nutz und Frommen des Nächsten, wie dies die erlauchteste Herrin tut. Ein gewalttätiger Edelmann ohne Gottesfurcht hat, da ich es schon sagen muss, alles unternommen, um der Unschuld dieses Menschenkindes nachzustellen, und als er erkannte, dass ihm die Schmeicheleien nichts eintrugen, scheute er nicht vor offener Gewaltanwendung zurück, indem er versuchte nun, er wollte sie entführen lassen. Aber Gott hat es nicht zugelassen, dass sie in diese schmutzigen Klauen fiel und ihr dafür eine Zuflucht unter dem makellosen Schutz und Schirm?''Aber Ihr', sagte die Herrin und wandte sich unvermittelt an Lucia, 'was haltet Ihr von diesem Herrn? Ihr müsst uns sagen, ob er ein Nachsteller war und schmutzige Klauen hatte.''Erlauchteste Herrin, Mutter', stotterte Lucia, die auch dann in Verwirrung geraten wäre, hätte sie jemandem aus ihrem Bekanntenkreis und aus ihrem eigenen Stande über dieses Thema Rede stehen müssen.Doch Agnese eilte ihr zu Hilfe: 'Erlauchteste Herrin', sagte sie, 'Ihre Sprache ist zu hoch für dieses arme Mädchen. Aber ich kann bezeugen, dass meine Lucia jenen Menschen verabscheute wie der Teufel das Weihwasser; ich will sagen, er war der Teufel. Doch Sie werden nachsichtig sein, wenn ich schlecht spreche, denn wir sind einfache Leute; übrigens hatte dieses arme Mädchen einen jungen Mann, der mit ihr ging, einen von unseresgleichen, gottesfürchtig, gut im Beruf eingeführt, und wenn der Herr Pfarrer etwas Vernunft gehabt hätte: Ich weiß, dass ich von einem Geistlichen spreche, aber der Pater Cristoforo, der Busenfreund des Paters Guardian hier, ist genauso geistlich wie der und sogar noch geistlicher und kann bezeugen?''Ihr seid schnell zum Sprechen bereit, ohne überhaupt gefragt zu werden', sagte die Herrin und schnitt Agnese das Wort ab. 'Ich kann keine Eltern gebrauchen, die anstelle ihrer Kinder antworten.' Agnese wollte schon den Mund aufmachen, doch die Herrin sagte in noch heftigerem Ton zu ihr:'Ruhig! Ruhig! Eure Worte sind zwecklos.'Während sie sprach, wurde ihr Aussehen zusehends finsterer, ich möchte beinahe sagen wilder, und jede Schönheit schwand oder veränderte sich doch so weit, dass jemand, der in jenem Augenblick ihr Gesicht gesehen hätte, für immer einen abstoßenden Eindruck bekommen hätte. Ihre Augen hielt sie böse und misstrauisch auf Agnese gerichtet, als suchte sie einen Feind in ihr. Sie sprach:'Ihr glaubt vielleicht, dass man mir alles vormachen kann, weil ich hier hinter Mauern lebe, außerhalb der Welt und ohne Erfahrung. Arme Frau! Gerade weil ich hier lebe, kann man mich in gewissen Dingen viel schwerer hintergehen. Natürlich ist der Mann, den die Eltern für eine Tochter ausgesucht haben, immer vollkommen; und das Kloster, in das man sie einsperren will, ist ja so heiter! Hat eine so herrliche Lage! Ist so ruhig! Ein wahres Paradies! Die Ärmsten, wie sie ihre Tochter beneiden! Auch sie möchten sich ja so gern auf diese Insel des Friedens zurückziehen und ach! ?ein seliges Leben führen, doch??leider sind sie an die Welt gebunden. Verzeihen Sie, wenn ich mich ereifere, Pater, aber Sie wissen besser als ich, wenigstens müssten Sie es nur zu gut wissen, wie diese Dinge vor sich gehen: die unverschämteste, hartnäckigste, infamste Lüge aus dem Mund dessen, der seine Kinder opfern, sie vergewaltigen will. Das sind die Sünden, gegen die man predigen sollte. Diesen Leuten sollte man mit der Hölle drohen!'Dann setzte sich die Herrin ganz verwirrt wieder hin, und jeder hätte bemerken können, dass ein Gedanke, den die Worte Agneses hervorgerufen hatten, sie jetzt ganz gefangen hielt und dass die Angelegenheit Lucias nur mehr von untergeordneter Bedeutung war.Indessen machte Agnese ihrer Tochter Vorwürfe, dass sie durch ihr unbeholfenes Reden dieses Gewitter auf sie heruntergezogen hätte. Auch der Guardian wollte Lucia zum Sprechen ermuntern, aber diese hatte schon aus den Umständen heraus selbst den Mut dazu gefunden, näherte sich dem Gitter und sagte mit bescheidenem, doch bestimmtem Ton:'Ehrwürdige Herrin, was Ihnen meine gute Mutter gesagt hat, ist die reine Wahrheit. Den jungen Mann, der mit mir ging', und hier errötete sie wieder, 'hätte ich geheiratet??aus meinem eigenen Willen, verzeihen Sie, wenn ich so ungebührlich rede, aber es ist nur deshalb, um meine Mutter zu verteidigen; und was jenen Herrn anbelangt?''Gutes Mädchen', unterbrach sie die Herrin in besänftigtem Ton, 'Euch glaube ich schon etwas mehr, wenn auch noch nicht ganz. Es gibt zweierlei Sprachen, die einander ähnlich sind: diejenige, die aus tiefstem Herzen kommt, und diejenige einer fügsam gemachten Tochter, die aus lauter Angst die Unwahrheit sagt und beteuert, das zu lieben, was sie auf der ganzen Welt am meisten verabscheut. Ich möchte Euch unter vier Augen hören. Pater Guardian, würden Sie aus eigener Anschauung die Angelegenheiten dieses Mädchens kennen, dann hätte ich jetzt überhaupt keinen Zweifel, aber Sie kennen sie auch nur vom Hörensagen. Und was mich betrifft bevor ich einer einem armen Mädchen angetanen Gewalt noch Vorschub leiste?''Der Pater Cristoforo, der mir diesen Fall anvertraut hat', sagte der Pater Guardian, 'ist ebenso umsichtig, wie weit davon entfernt, einer Gewalt Vorschub zu leisten, und seinen Aussagen vertraue ich ebenso wie meinen eigenen Augen. Ich halte es allerdings für sehr weise, dass die erlauchteste Herrin mit ihrem erfahrenen Sinn diese Angelegenheit zu prüfen geruht, und hoffe, dass diese Prüfung, die ihr die Wahrheit des Gesagten beweisen wird, sie dazu bewegt, dieser verfolgten Familie ihre Unterstützung angedeihen zu lassen.''Ich hoffe es', antwortete die Herrin mit einer so liebenswürdigen Ruhe, als wünschte sie, den vorhergegangenen Ausbruch vergessen zu lassen, 'ich hoffe es; und ich bitte den Pater Guardian, das wenige, das ich werde tun können, in der Hauptsache seiner eigenen Vermittlung zuzuschreiben. Im Augenblick, denke ich, könnte man Folgendes tun: Die Frau des Klostergutsverwalters hat vor einigen Tagen ihre letzte Tochter verheiratet; das Mädchen hier kann also in das leer gewordene Zimmer ziehen und die wenigen Dienste übernehmen, die jene zu verrichten hatte. Ich werde mit der Mutter Äbtissin sprechen, aber Ihr könnt jetzt schon die Angelegenheit als geregelt ansehen, das heißt, wenn Lucia damit einverstanden ist.'Der Pater Guardian erging sich in Dankesbezeugungen, die die Herrin höflich unterbrach, wenn sie dabei auch durchblicken ließ, dass sie auf die Erkenntlichkeit der Kapuziner rechnete. Dann rief sie eine der Nonnen, die ihr als Zofen dienten, erteilte ihr die nötigen Anweisungen und sagte zu Agnese, sie solle zur Klosterpforte gehen, um sich mit der Nonne und mit der Verwaltersfrau ins Benehmen zu setzen, und dann die Unterkunft vorbereiten, die für sie und Lucia bestimmt war. Der Pater verabschiedete sich mit dem Versprechen wiederzukommen, um sich nach dem Entscheid zu erkundigen. Die drei Frauen standen bald mitten in ihrer Beratung. Und Lucia blieb allein mit der Herrin, um ihre Prüfung zu bestehen.Die Worte der Herrin in der Unterredung, die wir wiedergegeben haben, verrieten wahrlich keinen geordneten und ruhigen Geist. Und doch hatte sie sich während des ganzen Gespräches bemüht, als eine Nonne wie alle anderen zu erscheinen. Als sie dann aber mit Lucia allein war, legte sie sich insoweit weniger Zwang auf, als sie die Beobachtungen eines fremden jungen Mädchens weniger als die eines alten Kapuziners fürchtete. Dadurch wurden ihre Reden gerade für eine Nonne so sonderbar, dass es vor ihrer Wiedergabe nötig ist, die Geschichte dieser Herrin zu erzählen, ihre Leidenschaften und die Dinge, die sie auf solche Art sprechen ließen.Diese Dinge sind traurig und außergewöhnlich. War auch in jenen Zeiten verhängnisvollen Angedenkens vieles gang und gäbe, was heute ganz undenkbar wäre, so hätte die Glaubwürdigkeit eines Anonymen doch nicht ausgereicht, um uns von der Wahrheit dessen zu überzeugen, was wir jetzt berichten werden. Wir haben also in anderen Quellen gesucht, ob sich nicht auch dort Spuren dieser Geschichte finden ließen, und sind dabei auf ein Zeugnis gestoßen, das uns keinen Zweifel mehr lässt.Giuseppe Ripamonti, Pfarrer der Scala, Chronist von Mailand usw., Schriftsteller seiner Zeit, der durch seine Stellung genauestens unterrichtet sein musste und in dessen Schriften man eine selten aufmerksame Beobachtung und eine Lauterkeit erkennt, die man unmöglich vortäuschen kann, dieser Ripamonti erzählt über die Angelegenheit viel schlimmere Dinge, als sie in unserem Bericht enthalten sind. Wir werden sogar die Angaben verwenden, die er uns überliefert hat, um die eigenartige Geschichte der Herrin noch zu vervollständigen. Wir hätten diese Dinge, wenn sie auch durch ein derartiges Zeugnis mehr als wahrscheinlich geworden und für den Ablauf unserer Erzählung wesentlich sind, allerdings verschwiegen; und wir hätten selbst die ganze Geschichte weggelassen, könnten wir nicht im Anschluss daran von einer solchen Sinnesänderung der Herrin berichten, die nicht nur den furchtbaren Eindruck, den ihre ersten Taten hervorrufen müssen, mindert und mäßigt, sondern einen ganz anderen, tröstlichen erwecken muss. Ich sage, wir hätten es unterlassen, diese Geschichte zu veröffentlichen, um nicht diejenigen vor den Kopf zu stoßen, die es als einen unnötigen Skandal empfinden, wenn die Menschen an eine gewisse, einst allgemein bekannte, doch längst vergessene Schuld erinnert werden, die nicht durch ein großes Beispiel oder eine große Reue gesühnt wurde, wie immer sie auch dargestellt sein mag. Ohne auf die Gültigkeit einer solchen Meinung einzugehen, hätten wir sie respektiert, ging es doch nur darum, ein Buch zu unterdrücken.Falls dann noch jemand anderes diese Entschuldigungen überflüssig kritisieren und uns beschuldigen möchte, wir ergingen uns dauernd in Abschweifungen, die den Faden des Knäuels zerreißen und die Spule jeden Augenblick zum Stillstand bringen, dann würde er den Schreiber zu einer weiteren Abschweifung zwingen und folgende Entgegnung herausfordern: 'Das einzige Manuskript, in dem diese schöne Geschichte von Fermo und Lucia aufgezeichnet ist, befindet sich in meiner Hand. Wenn Ihr sie erfahren wollt, müsst Ihr sie mich schon auf meine Art erzählen lassen. Ist Euch aber wenig daran gelegen, oder langweilt es Euch, wie sie erzählt wird da man von den Menschen jede Maßlosigkeit erwarten kann , dann schlagt eben das Buch zu, und Gott mit Euch.'

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