Beschreibung
Die begabte Fotografin Avery Tate wird von ihrer Jugendfreundin Sky zu einer ungewöhnlichen Fotoausstellung in einer Galerie in Baltimore eingeladen. Doch seltsamerweise erscheint Sky nicht, stattdessen ist ein düsteres Foto von ihr ausgestellt, das auf mysteriöse Weise seinen Weg in die Galerie gefunden hat. Avery ist beunruhigt. Als Sky verschwunden bleibt, vermutet sie ein Verbrechen und bittet ihren früheren Kollegen, den Tatortanalytiker Parker Mitchell, ihr zu helfen. Was Parker nicht weiß: Avery ist schon lange hoffnungslos in ihn verliebt. Doch er trauert noch immer seiner verstorbenen Jugendliebe nach. Bei den Ermittlungen, die Avery und Parker gemeinsam mit ihren Freunden vom FBI durchführen, gerät der unheimlich wirkende junge Fotograf Sebastian in den Fokus, der Sky gestalkt hat. Doch immer dann, wenn Avery und Parker der Lösung des Falles ein Stück näher zu kommen scheinen, ergibt sich eine unerwartete Wendung.
Autorenportrait
Dani Pettrey ist für ihre spannenden Romane mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Im deutschsprachigen Raum ist bisher ihre sehr erfolgreiche Alaska-Serie rund um die fünf McKenna-Geschwister erschienen. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Maryland.
Leseprobe
Kapitel 1 Avery Tate sog die heiße Augustluft von Baltimore tief ein, um sich zu wappnen, während sie kurz innehielt und den metallenen Türgriff umklammerte. Es war so weit. Ihre erste Rückkehr in die Kunstszene von Baltimore, seit sie vor mehr als einem Jahr ausgestoßen worden war. Ihre Finger schlossen sich fester um den Griff. In der schweren, stickigen Luft holte sie noch einmal tief Atem und riss dann die Tür aus Kirschbaumholz und geschliffenem Glas auf. Die Kälte der Klimaanlage schlug ihr entgegen und verursachte eine Gänsehaut auf ihren nackten Armen. Zum Glück klebte ihr das rote Satinkleid nicht am Körper - obwohl sie vom Parkplatz aus in der schwülen Luft zehn Minuten bis hierher hatte laufen müssen. Eine Veranstaltung wie diese in Baltimores angesagtem Hafenviertel Fells Point machte das Parken nahezu unmöglich. Lebhafte Unterhaltungsgeräusche und leise dahinplätschernde Musik umhüllten sie, als sie sich weiter in Christopher Fullers Galerie vorwagte. Ihr rechter Absatz wackelte und jedes Nervenende lebte und tanzte unter der Oberfläche ihrer Haut, ob von der Kälte im Gebäude oder der Umstände wegen, wusste sie nicht, aber sie festigte ihre Schritte ganz bewusst und ging weiter. Ja, sie konnte auf Absätzen selbstbewusst laufen! Das konnte doch nicht so schwer sein, oder? Einen Schritt nach dem anderen. Du schaffst das. Mit aufrechtem Gang. Sie hatte schon so viel mehr überstanden als diese kleinliche Truppe um sie herum. Die Ausgrenzung hatte ihr nur deshalb so zu schaffen gemacht, weil ihr Herz nun einmal für die Fotografie schlug oder geschlagen hatte. Jetzt schlug es für Parker - einen Mann mit ungeheurem Tiefgang und großer Ernsthaftigkeit, auch wenn diese gemischt waren mit einem spielerischen Geist, was sie nur um so anziehender fand Und warum dachte sie jetzt schon wieder an Parker Mitchell? Es war sechs Monate her, dass sie als Ermittler und Tatortfotografin zusammengearbeitet hatten. Und neun Monate, seit ihr wirklich bewusst geworden war, was sie für ihn empfand, aber Sie schluckte und es schmerzte. Parker konnte niemals ihr gehören, jedenfalls nicht vollkommen. Ein Teil seines Herzens, und zwar ein sehr großer Teil, würde immer Jenna McCray gehören. Sie verstand das. Jenna war Parkers erste Liebe gewesen. Vor sieben Jahren, kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag, war sie ermordet worden - ein traumatisches Ereignis für Parker. Doch Avery konnte nicht den Rest ihres Lebens mit einem Mann verbringen, der eine andere Frau mehr liebte als sie. Sie zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf das zu richten, was wichtig war, zumindest an diesem Abend, und straffte ihre Schultern, während sie ihre Umgebung musterte, wie Parker es ihr beigebracht hatte. Mann, er lebte wirklich in ihrem Kopf - ihre Gedanken wanderten beinahe unablässig zu ihm und zu der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten. Oh, sie sah ihn immer noch dann und wann, weil sie einen gemeinsamen Freundeskreis hatten, aber sie konnte es nicht mehr ertragen, an seiner Seite zu arbeiten. Nur, wenn sie auf Dauer mit ihm zusammen sein könnte, würde sie die langen Stunden, die Nachtschichten und die Nähe zu ihm in seinem Labor aushalten können. Sie vermisste ihn schrecklich. Avery Tate, bist du das? Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass die Frage von Marjorie Thrasher kam. Ihre überkandidelte Stimme - die unverkennbare Mischung aus schriller Tonlage und New Yorker Akzent - sorgte dafür, dass die ältere, aber lebhafte Frau sofort zu erkennen war. Dass sie aber auch ausgerechnet Marjorie als Erstes über den Weg laufen musste! Avery drehte sich um - etwas unsicher auf ihren ungewohnt hohen Schuhen -, während sie betete, dass ihre Absätze auf dem erst kürzlich gebohnerten Hartholzfußboden nicht wegrutschten. Marjorie schürzte die kupferfarben geschminkten Lippen. Oh, Darling. Ich wusste, dass du es bist. Was machst du denn hier? Ihre falschen Wimpern klimperten, während sie Avery von Kopf bis Fuß musterte. Sag nicht, dass du wieder in der Szene bist. Nein. Auf gar keinen Fall. Ich bin nur hier, um eine Freundin zu unterstützen. Sie musste sich das nur oft genug einreden, unabhängig von der entscheidenden Tatsache, dass sie Skylar hier unterstützte und nicht dort, wo sie gemeinsam aufgewachsen waren Hier war es im Grunde nicht viel angenehmer, aber wenigstens war die Anfeindung nicht körperlicher Natur. Feindselige Worte gab es genügend, aber die Angst, was andere über sie sagen könnten, lähmte sie jetzt nicht mehr. Wie ihre Mutter einmal gesagt hatte: Avery besaß ein Kämpferherz. Die Tatsache, dass ihre Mutter diese Worte an dem Tag gesagt hatte, als sie Avery im Stich ließ, hatte diese Vorstellung nur umso tiefer in Averys jungen Geist eingeprägt: Ja, sie war eine Kämpferin, und das gefiel ihr sehr. Auch Skylar Pierce konnte kämpfen, nur tat sie es auf einem sehr gefährlichen Weg, von dem Avery sie immer wieder abzubringen versuchte. Marjories übertrieben gezupfte Augenbrauen beziehungsweise das, was davon noch übrig war, bemühten sich, einen Bogen zu beschreiben, aber das war gar nicht so einfach, weil sie aufgrund von Marjories Sucht nach Botox-Spritzen so gut wie unbeweglich waren. Ihr Lächeln, ob es echt war oder nicht, war dauerhaft und ihre Lippen waren zu dick. Das hat doch wohl nichts mit Gerry zu tun, oder? Avery unterdrückte ihren Würgereflex. Nein. Das verstehe ich nicht. Marjorie trank einen Schluck von ihrem Schokoladen-Martini, der mit seinem braunen Sirup im Glas ausgefallene Muster entstehen ließ. Marjorie trank für ihr Leben gern Martini. Eine Freundin von mir hat für ihn gemodelt, sagte Avery. Skylar und sie waren seit ihrer Geburt befreundet. Oder wenigstens waren ihre Mütter es gewesen. Da sie beide sehr jung schwanger geworden und in derselben Wohnwagensiedlung aufgewachsen waren, hatten sie sich ganz automatisch zusammengetan, und so waren auch Avery und Skylar gemeinsam aufgewachsen. Das machte ihre jetzige Beziehung so schwierig. Sie liebte Sky wie eine Schwester, aber zugleich hatte sie keine Ahnung, wie sie die Freundin von ihrem Kurs der Selbstzerstörung abbringen sollte. Oooh. Welche denn? Marjories knochige Finger krallten sich in Averys Arm, schreckten sie aus ihren Gedanken auf und zogen sie mit sich durch die Besuchermenge, die zu dem krankhaften Schauspiel an der hinteren Ausstellungswand der Galerie strömte. Es war typisch für Gerard Gerry Vaughn, dass er seine geschmacklosen, von dem berüchtigten Mordfall der sogenannten Schwarzen Dahlie inspirierten Bilder ausstellte. Fünf Porträts - jede von einer Frau, die scheinbar nach ihrem Tod fotografiert worden waren - hingen exakt ausgerichtet an der weißen Wand und die Beleuchtung erhellte geschickt jedes Bild. Die Frauen, auffällig gekleidet und geschminkt, wirkten wie erstarrt in der Zeit - beinahe leblos. Beinahe, außer Skylars Bild. Etwas an ihrem Porträt fiel auf. Etwas war anders. Aber was? Skylars blasse Haut, die sicher digital aufgehellt worden war - einen so ebenmäßigen und makellosen Teint hatte niemand, selbst ohne Make-up -, bildete einen eindringlichen Kontrast zu ihrem roten Lippenstift und der passend blutroten Dahlie, die sie in ihrer offenen Hand hielt. Gerard hatte einen beeindruckenden Blick fürs Detail bewiesen - der glänzende schwarze Nagellack, die seidige Struktur des Schals, die wie ein Halsband um ihren Hals geschlungen war, und ihre dunklen Haare zurückgebunden, sodass ihre dunklen Augen und das blasse Gesicht betont wurden. Trotz der grotesken Thematik war das Porträt künstlerisch brillant. Aber etwas störte Avery. Etwas an Skylars Augen. Sie waren zu dunkel, ihre Pupillen größer als normal, ohne jedes Leben - ein Abgrund der Leere. Das fesselnde Bild erinnerte Avery daran, wie die Gebrüder Grimm Schneewittchen beschrieben - Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz Komm mit, meine Liebe, sagte Marjorie und zog Avery zu dem nächsten Bild, bevor sie das...