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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783963620805
Sprache: Deutsch
Umfang: 352 S.
Format (T/L/B): 3 x 20.5 x 13.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

New York 1859: Sie hat keine feste Bleibe und doch kümmert sich Sophie Neumann hingebungsvoll um zwei kleine Waisenkinder. Unter keinen Umständen sollen die beiden das gleiche Schicksal erleiden wie sie, die nach dem Tod ihrer Eltern auch noch von ihren beiden Schwestern verlassen wurde - und das mitten im krisengebeutelten New York der 1850er-Jahre. Doch dann lässt Sophie sich mit den Falschen ein und wird Zeugin eines Mordes. Um unterzutauchen, besteigt sie zusammen mit ihren beiden Schützlingen einen der vielen Waisenzüge gen Westen. Bald steht Sophie vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens: Sollte sie die Kinder nicht besser in die Obhut einer Pflegefamilie geben? Der Entschluss, den sie trifft, hat ungeahnte Konsequenzen

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Hersteller:
Francke-Buch GmbH
Stefan Jäger
[email protected]
Am Schwanhof 19
DE 35037 Marburg

Autorenportrait

Jody Hedlund lebt mit ihrem Mann, den sie als ihren größten Fan bezeichnet, in Michigan. Ihre 5 Kinder werden zu Hause unterrichtet. Die Zeit, die ihr neben dieser Tätigkeit noch bleibt, widmet sie dem Schreiben.

Leseprobe

Kapitel 1 New York September 1859 Sophie Neumann schmiegte ihre Wange an Dannys Brust. Seine Arme schoben sich besitzergreifend um sie. »Du bist jetzt mein Mädchen. Mein Bowery Girl.« Bowery Girl. Dieser Name sollte Sophies Herz eigentlich vor Freude höher schlagen lassen. Doch sie zitterte nervös. Danny neigte den Kopf und drückte ihr einen Kuss auf den Hals. Obwohl es schon weit nach Mitternacht war, empfand sie das in der schwülen Hitze der Großstadtluft als besonders unangenehm. Die Feuchtigkeit verstärkte den schweren Biergeruch in seinem Atem und auch den beißenden Geruch des Bärenfetts in der Pomade, die er in seine Haare kämmte. Vorsichtig legte sie den Kopf noch mehr in den Nacken, um diesem Übelkeit erregenden Geruch auszuweichen, und drückte die Augen zu. Dabei versuchte sie, seine Berührung als angenehm zu empfinden. An den letzten Abenden hatte sie Dannys Küsse und seine Zärtlichkeit genossen. Das wäre heute bestimmt nicht anders. Sie müsste nur Geduld haben, dann würden sich die angenehmen Gefühle schon einstellen. Immerhin war er Danny Sullivan, der Kopf der Dry Bones und einer der Anführer der Bowery Boys. Er trug die übliche Kleidung der Straßenbande: einen langen schwarzen Gehrock, ein rotes Hemd, eine dunkle Hose, polierte Stiefel und einen Zylinder. Und er trug sein Haar genauso wie die anderen Bowery Boys: hinten kurz geschnitten und an den Seiten Haarlocken, die bis übers Ohr gingen. Obwohl sich seine Kleidung und seine Frisur nicht von denen der anderen Bandenmitglieder unterschieden, war er eindeutig der attraktivste Mann in der Bowery Street. Sie staunte immer noch, dass Danny ausgerechnet sie wollte, wo sich doch so viele andere Frauen um seine Aufmerksamkeit bemühten. Er hatte sich sogar mit zwei anderen Bowery Boys geprügelt, um sie zu bekommen. Natürlich hatte sie sich für die anderen Männer nicht wirklich interessiert. Eigentlich hatte sie kein Interesse gehabt, sich überhaupt auf einen Mann einzulassen. In den letzten zwei Jahren hatte sie nie eine feste Bleibe gehabt. Sie war ständig von einem Heim zum nächsten gezogen und hatte nie Zeit gehabt, Beziehungen aufzubauen, da sie sich mit ganzer Kraft darauf konzentrierte, sich um Olivia und Nicholas zu kümmern. Aber vor einem Monat hatte sich alles geändert, als eine Leiterin im Jugendheim Anna erklärt hatte, dass sie zu alt sei, um noch länger im Heim wohnen zu können. Anna war Sophies einzige Freundin im Heim gewesen. Als Anna ihre zerlumpte Tasche mit ihren wenigen Habseligkeiten gepackt hatte, hatte sie Sophie angefleht, mit ihr wegzugehen, und ihr versichert, dass sie bei ihrer Schwester, Mollie, wohnen könnten. Als die ein Baby bekommen hatte, war Mollie aus dem Bordell, in dem sie vorher gewohnt hatte, ausgezogen und hatte jetzt eine kleine Wohnung. »Wir sind alt genug, um uns eine Arbeit zu suchen«, hatte Anna argumentiert. »Wir können Hausmädchen in einem dieser eleganten, vornehmen Häuser in der Fifth Avenue werden.« »Von dieser Arbeit haben wir doch gar keine Ahnung«, hatte Sophie eingewandt. »Dann arbeiten wir eben in einer Fabrik oder in einer Näherei.« Sophie erinnerte sich noch sehr gut an die Näherei, in der ihre Mutter und ihre Schwestern gearbeitet hatten. Es gab sehr viele solche Nähereien in den überfüllten Mietskasernen an der East Side. Obwohl Sophie noch zu jung gewesen war, um wie der Rest ihrer Familie zu nähen, erinnerte sie sich noch lebhaft daran, wie verschwitzt und müde ihre Mutter und ihre Schwestern immer nach Hause gekommen waren. Zwölf Stunden hatten sie täglich schuften müssen. Männerwesten hatten sie genäht und ihre Finger waren von der Farbe, mit der die vorgeschnittenen Stoffteile gefärbt gewesen waren, ganz blau gewesen. Aber Sophie hatte nie nähen gelernt. Sie konnte nicht einmal einen Knopf annähen. Selbst wenn sie und Anna eine Arbeit als Näherinnen finden würden, war die Bezahlung dermaßen gering, dass sie davon kaum würden leben können. Selbst wenn sie bei Annas Schwester wohnten. Schließlich musste sie sich auch noch um Olivia und Nicholas kümmern. Trotz ihrer Vorbehalte hatte Sophie eingewilligt, zu Annas Schwester in deren winzige Wohnung in der Mulberry Bend zu ziehen. Die zwei Zimmer, die sie mit Mollie und drei anderen Frauen und deren Kindern teilten, waren für so viele Menschen viel zu klein. Aber wenigstens hatten sie ein Dach über dem Kopf. Aber wenn sie jetzt Danny Sullivans Bowery Girl war, würde er sich um sie kümmern und nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß. »Du bist so schön«, flüsterte er mit rauer Stimme. Mit ihren langen blonden Haaren und hellblauen Augen hatte sie schon immer die Aufmerksamkeit der Jungen erregt. Aber bis vor wenigen Monaten war sie klein und dünn gewesen und hatte vorgeben können, sie sei viel jünger. Im letzten halben Jahr war sie jedoch gewachsen und hatte die Figur einer Frau bekommen. Das hatte es viel schwerer gemacht, den Waisenhausmitarbeitern vorzumachen, sie wäre erst zehn oder zwölf. Im Kinderheim hatte sie angegeben, sie wäre 15, obwohl sie bald 18 werden würde. Die Heimmitarbeiter hatten ihr geglaubt, aber sie wusste, dass die Tage, in denen sie mit Olivia und Nicholas im Kinderheim unterkam, bald vorbei wären. Die Mitarbeiter würden ihre Lügen, was ihr Alter betraf, durchschauen und sie genauso zwingen, das Heim zu verlassen, wie sie es bei Anna gemacht hatten. Das war ein weiterer Grund, warum sie sich entschieden hatte, bei Anna und ihrer Schwester zu wohnen. Dannys Lippen bewegten sich suchend über ihren Hals, dabei glitt seine Hand auf ihrem Rücken tiefer nach unten. Zu tief. »Danny, hör auf.« Sie stieß gegen seine Brust, versuchte aber trotzdem, dabei unbeschwert und verspielt zu klingen. »Du gehörst jetzt mir«, sagte er atemlos. »Und ich will dich haben.« Ich will dich. Diese Worte hallten in ihrem Kopf wider und erwärmten ihr Herz. Wie lange war es her, dass jemand sie wirklich gewollt hatte? Natürlich, Olivia und Nicholas wollten und brauchten sie. Aber da sie erst fünf und drei Jahre alt waren, war das nicht anders zu erwarten. Aber sie wollen? Sie wirklich wollen? Sie konnte sich an keine Zeit in ihrem Leben erinnern, in der irgendjemand sie wirklich gewollt hätte. Sie war meistens nur eine Last gewesen. Für ihren überarbeiteten Vater, nachdem sie aus Deutschland ausgewandert waren, für ihre kranke Mutter, bevor sie gestorben war, und für ihre älteren Schwestern, als sie keine Arbeit und kein Dach über dem Kopf gehabt hatten. Selbst in den letzten beiden Jahren, die sie in Boston gelebt hatte und seit Kurzem wieder in New York City, hatte sie sich in den überfüllten Waisenhäusern, in denen es viel zu wenig Personal gab, nur als Last gefühlt. Dass auf einmal jemand da war, der sie wollte, war für sie eine neue Erfahrung. Sie entspannte sich in Dannys Armen. Es war doch sicher nichts falsch daran, wenn sie ihm erlaubte, sie heute Abend zu berühren? Schließlich hatte er öffentlich erklärt, dass sie sein Mädchen und für alle anderen tabu sei. Sie verdrängte die Schuldgefühle, die sich in ihrem Gewissen regten, obwohl sie in den letzten zwei Jahren alles getan hatte, um ihr Gewissen zum Schweigen zu bringen. Inzwischen verstand sie es ganz meisterhaft, ihre Schuldgefühle zu verdrängen. Trotzdem machte es sie verlegen, dass Danny sie berührte. Bei dem grellen gelben Licht, das aus dem Green Dragon fiel, könnten die anderen Bandenmitglieder, die in der engen Gasse hinter dem Tanzlokal herumlungerten, sehen, was Danny mit ihr machte. Ganz in der Nähe umarmten Anna und Mugs sich und küssten sich leidenschaftlich. Im Schatten gab es noch andere Paare, die sich eng aneinanderschmiegten. Das war hier normal und natürlich; es wurde sogar erwartet. Lieber hier draußen im Dunkeln als im Saloon mit den vom Zigarettenrauch geschwärzten Wänden, klebrigen Böden und kaputten Stühlen, wo ihr bei dem beißenden Geruch von gepökelten Schweinefüßen immer ganz übel wurde. Noch schlimmer waren die Mädchen, die auf der Bühne tanzten. Sie drehten sich im ...

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