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Geschichten im Vorübergehen

Erschienen am 15.03.2020, 1. Auflage 2020
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783038670261
Sprache: Deutsch
Umfang: 272 S., 1 Illustr., Cover
Format (T/L/B): 2.6 x 20 x 12.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Jürgen Theobaldy hat eine Sammlung locker verknüpfter Kurzgeschichten, Anekdoten, Berichte und Kürzestnovellen eines namenlosen, in Bern seine Tage zubringenden Ich-Erzählers geschrieben. Aufmerksam für alltägliche, skurrile bis beklemmende Vorfälle in der Bundesstadt, nimmt er auch die höhere Wahrheit des frei Erfundenen, gar Erträumten in Anspruch oder schweift mal auf ferne Kontinente aus, schliesslich geht es nicht um Heimatliteratur.

Autorenportrait

Jürgen Theobaldy, geboren 1944 in Straßburg, lebt nach verschiedenen Jobs und Studien in Mannheim, Freiburg, Heidelberg, Köln und Berlin (West) seit 1984 in der Schweiz und wohnt in Ostermundigen. Sein erster Gedichtband »Sperrsitz« erschien 1973 in Köln, sein erster Roman »Sonntags Kino« 1978 in Berlin. Seitdem hat er vier weitere Romane veröffentlicht, zuletzt »Rückvergütung« 2015, dazu über ein Dutzend Gedichtbände, zuletzt »Auf dem unberührten Tisch« 2019. Die Literarische Kommission der Stadt Bern hat ihm 2006 den Literaturpreis für sein Gesamtwerk verliehen.

Leseprobe

Wer taugt besser zum Erzähler? Derjenige, der in den Landstrich hineingeboren und unter den Menschen herangewachsen ist, deren Eigenheiten er gestalten will, oder derjenige, der sich, irgendwann zugereist, seinen liebevoll bis unerbittlich fremden Blick bewahrt, mit dem er Mitteilenswertem nachspürt? Vermutlich wird, wer schreibt, das jeweils zu seinen Gunsten beantworten. So jedenfalls halte ich es mit meinem Handwerk und meiner Phantasie, um in innerste Bezirke einzudringen wie auch zu äussersten eigenen Grenzbastionen vorzustossen. Das muss kein unstetes, rücksichtslos selbstbezogenes Fühlen und Forschen, Irren und Finden sein. Manchmal ist es ein besonnenes Umhergehen, bei dem ich aus den Augen verliere, wonach ich suche, und etwas entdecke, das ich gar nicht finden wollte. So kam mir vorhin, zu Fuss entlang einer Mitte Juli üppig blühenden Gartensiedlung, wieder mal in den Sinn, dass den Bernern der zweifelhafte, zum Klischee verdickte Ruf gleichsam auf einem Bein vorauslahmt, sie seien langsam, auffallend langsamer als ihre Zeitgenossen in welcher Gegend der Welt auch immer. Lange habe ich das gegenüber unwissenden Besuchern aus anderen Ländern bestritten, ihnen ein klischiertes Denken vorgehalten. Aber jetzt stehe ich vor einem sauber ausgedruckten Plakat, auf Augenhöhe an einem Zaun aus Maschendraht befestigt und in einer Plastikhülle vor Regengüssen, Tau und Gewitter geschützt, mit einem Farbfoto versehen und womöglich auch an mich gerichtet: SCHILDKRÖTE ENTLAUFEN!