Beschreibung
Im Herzen Afrikas: Eine Tochter aus gutem Hause entdeckt die Welt. Das Haus liegt inmitten von Hibiskus, Tempelbäumen und hohen Mauern, die Welt dahinter ist das von politischen Unruhen geprägte Nigeria. Mit sanfter, eindringlicher Stimme erzählt die 15-jährige Kambili von dem Jahr, in dem ihre Familie auseinander fiel, ihr Land im Terror versank und ihre Kindheit zu Ende ging. Ein verzweifelt-schönes, traurig-süßes, außergewöhnliches Buch.
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Leseprobe
Palmsonntag Bei uns zu Hause begann alles in die Brüche zu gehen, als mein Bruder Jaja nicht bei der Kommunion war und mein Vater sein schweres Meßbuch durch das Zimmer schleuderte und die Keramikfiguren auf der Etagere zerbrach. Wir kamen gerade von der Kirche. Mama legte die frischen Palmzweige, die noch feucht vom Weihwasser waren, auf den Eßtisch und ging nach oben, um sich umzuziehen. Später würde sie die Zweige zu schweren Kreuzen binden und sie neben unser goldgerahmtes Familienfoto an die Wand hängen. Dort blieben sie bis Aschermittwoch; dann trugen wir sie in die Kirche, wo sie zu Asche verbrannt wurden. Papa half jedes Jahr beim Austeilen der Aschekreuze, wie die anderen Laienbrüder in einem langen, grauen Gewand. Seine Reihe kam immer am langsamsten voran, weil er mit seinem ascheverschmierten Daumen besonders fest auf jede Stirn drückte, um ein perfektes Kreuz zu malen, und dabei langsam und bedeutungsvoll jedes einzelne Wort betonte: 'Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren.' Papa saß bei der Messe immer in der ersten Reihe, gleich neben dem Gang, und Mama, Jaja und ich saßen neben ihm. Er war der erste, der zur Kommunion ging. Um die Hostie zu empfangen, knieten die meisten Leute nicht vor dem Marmoraltar und der lebensgroßen Statue der blonden Jungfrau Maria nieder, aber mein Vater schon. Er kniff die Augen so fest zusammen, daß sein Gesicht sich zu einer starren Grimasse verzog, und streckte dabei die Zunge heraus, so weit er nur konnte. Anschließend lehnte er sich in seiner Kirchenbank zurück und sah zu, wie die übrigen Gemeindemitglieder zum Altar pilgerten, die Handflächen aufeinandergepreßt und senkrecht nach oben gestreckt, als müßten sie einen auf den Rand gestellten Teller festhalten. So hatte es ihnen Pater Benedict beigebracht. Obwohl Pater Benedict schon sieben Jahre in St. Agnes war, nannten ihn die Leute immer noch 'unseren neuen Priester'. Vielleicht hätten sie das nicht getan, wenn er nicht weiß gewesen wäre. Er sah einfach immer noch aus wie neu. Die Haut seines Gesichts, das die Farbe von Kondensmilch und einer aufgeschnittenen Sauer-Annone hatte, war während dieser sieben Jahre im glutheißen Harmattan-Wind Nigerias kein bißchen braun geworden. Seine englische Nase war genauso verkniffen und schmal, wie sie es immer gewesen war, dieselbe Nase, von der ich damals, als er in Enugu eintraf, befürchtet hatte, er würde nicht genügend Luft durch sie bekommen. Pater Benedict hatte in der Gemeinde so manches umgekrempelt. Zum Beispiel durften das Credo und das Kyrie nur in Latein gesprochen werden, und Igbo, unsere Muttersprache, war verboten. Auch das Händeklatschen sollte auf ein Minimum beschränkt sein, um die Feierlichkeit der Messe nicht zu beeinträchtigen. Immerhin erlaubte er uns, die Opfergebete auf Igbo zu singen; er nannte sie 'Eingeborenenlieder', und wenn er 'Eingeborene' sagte, verzogen sich die Winkel seines schmalen, geraden Mundes nach unten und bildeten ein umgedrehtes U. Während seiner Predigten nahm Pater Benedict meistens Bezug auf den Papst, auf Papa und auf Jesus - in dieser Reihenfolge. Papas Beispiel benutzte er, um das Evangelium zu veranschaulichen. 'Wenn wir unser Licht leuchten lassen vor allen Menschen, so tun wir es in Gedenken an den Einzug Christi in Jerusalem', sagte er an diesem Palmsonntag. 'Seht euch Bruder Eugene an. Er hätte es nach dem Putsch so machen können wie die anderen bedeutenden Männer in diesem Land. Er hätte beschließen können, zu Hause zu bleiben und nichts zu tun, damit die neue Regierung sich nicht in seine Geschäfte einmischt. Er aber nutzte den Standard, um der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen, obwohl das für die Zeitung den Verlust von Anzeigen bedeutete. Bruder Eugene trat für die Freiheit ein. Wie viele von uns sind aufgestanden und haben für die Wahrheit gekämpft? Wie viele von uns haben des glorreichen Einzugs in Jerusalem gedacht?' Die Gemeindemitglieder sagten 'Ja' oder 'Gott segne ihn' oder 'Amen', aber nicht zu laut Leseprobe