Beschreibung
Der neue Roman der Nobelpreisträgerin - erstmals im Taschenbuch In einer wilden Küstenlandschaft lebt eine Gemeinschaft von Frauen. Männer kennt man bei ihrem Volk nicht, die Kinder - allesamt weiblich - werden nach den Zyklen des Mondes zur Welt gebracht. Als eines Tages ein Junge geboren wird, überlassen die Frauen ihn den Möwen und dem Meer. Doch dem ersten Jungen folgt ein zweiter, und danach kommen immer mehr. Irgendwann begreift das Volk der Frauen, dass es sich nicht um eine Laune der Natur handeln kann. Und von da an ist die Harmonie der Gemeinschaft in Gefahr .
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Autorenportrait
Doris Lessing, 1919 im heutigen Iran geboren und auf einer Farm in Südrhodesien (Simbabwe) aufgewachsen, lebt seit 1949 in England. 1950 veröffentlichte sie dort ihren ersten Roman und kam 1953 mit "Eine afrikanische Tragödie" zu Weltruhm. In Deutschland
Leseprobe
Heute habe ich etwas beobachtet. Wenn am Ende des Sommers die Wagen vom Landgut kommen und Wein, Oliven und Obst einbringen, herrscht eine festliche Stimmung im Haus, und ich habe teil daran. Wie die Haussklaven halte ich an meinen Fenstern Ausschau, bis die Ochsen von der Straße abbiegen, und lausche, ob ich das Knarren des Wagens höre. Diesmal sahen sich die Ochsen wild und ängstlich um, denn es war laut auf der überfüllten Straße nach Westen. Ihr weißes Fell sah rot aus, wie die Tunika des Sklaven Marcus, dessen Haare ganz staubig waren. Die Mädchen, die Ausschau gehalten hatten, liefen dem Wagen entgegen, aber nicht nur wegen der Köstlichkeiten, die sie bald in den Lagerräumen verstauen würden, sondern wegen Marcus, der sich im letzten Jahr zu einem gut aussehenden jungen Mann entwickelt hatte. Weil so viel Staub in seiner Kehle saß, konnte er ihren Gruß nicht erwidern, also rannte er zur Pumpe, packte den Krug, der dort stand, trank gierig und goss sich Wasser über den Kopf, auf dem nach diesem Trankopfer ein schwarzer Lockenschopf sichtbar wurde - und dann ließ er den Krug in seiner Hast auf die gekachelte Einfassung fallen, wo er zerbrach. Sofort stürzte Lolla, ein reizbares, jähzorniges Mädchen, deren Mutter mein Vater auf einer Sizilienreise gekauft hatte, laut schimpfend und zeternd auf Marcus zu. Er verteidigte sich genauso lautstark. Die anderen Sklaven waren schon dabei, die Krüge mit Wein und Öl und die schwarz-goldene Traubenernte vom Wagen abzuladen, und es ging geräuschvoll und geschäftig zu. Weil die Ochsen bereits zu muhen begannen, nahm Lolla mit einer demonstrativ ungeduldigen Geste einen zweiten Krug, tauchte ihn ins Wasser, eilte damit zu den Ochsen und füllte deren Tröge, die fast leer waren. Eigentlich war Marcus dafür verantwortlich, dass die Ochsen gleich bei ihrer Ankunft Wasser bekamen. Die senkten nun die großen Köpfe und tranken, während Lolla sichtlich wütend noch einmal auf Marcus losging und schimpfte. Marcus war der Sohn eines Haussklaven vom Gutshaus, und die beiden kannten sich schon ihr ganzes Leben. Er hatte manchmal hier in unserem Stadthaus gearbeitet, und manchmal hatte sie den Sommer auf dem Gut verbracht. Lolla war für ihre aufbrausende Art bekannt, und wenn Marcus nach der langen, beschwerlichen Reise nicht so erhitzt und staubig gewesen wäre, hätte er sie wahrscheinlich ausgelacht und geneckt, bis ihr Anfall von Ungeduld vorüberging. Doch die beiden waren keine Kinder mehr: Man musste sie nur zusammen sehen und wusste sofort, dass ihre Verärgerung und sein Missmut nicht nur dem sengend heißen Nachmittag zuzuschreiben waren. Marcus ging zu den Ochsen und versuchte, sie zu beruhigen, wobei er sich vor den großen Hörnern in Acht nahm, mit denen sie um sich stießen. Er nahm den Tieren die Geschirre ab und führte sie in den Schatten eines großen Feigenbaums, wo er die Geschirre über einen Ast hängte. Als Lolla sah, wie liebevoll Marcus mit den Ochsen umging, ärgerte sie sich aus irgendeinem Grund noch mehr. Während die anderen Mädchen Obst und Gemüse vom Wagen an ihr vorbeitrugen, stand sie mit scharlachroten Wangen da, beobachtete den Jungen und warf ihm vorwurfsvolle, anklagende Blicke zu. Er nahm keine Notiz von ihr. Als wäre sie gar nicht da, ging er an ihr vorbei auf die Veranda, nahm eine zweite Tunika aus seinem Beutel, zog die staubige Tunika aus, spritzte sich noch einmal mit Wasser ab und streifte die frische Tunika über, ohne sich abzutrocknen - das würde sich durch die Hitze rasch erledigt haben. Lolla hatte sich anscheinend beruhigt. Sie stützte sich mit der Hand an der Verandamauer ab und wirkte reumütig, zumindest annähernd. Doch er trat an den Rand der Veranda, starrte die Ochsen, seine Schützlinge an und nahm noch immer keine Notiz von ihr. Als sie ihn in normalem Ton mit "Marcus." ansprach, zuckte er abweisend mit den Schultern. Inzwischen hatte man den letzten Krug und alles Obst ins Haus gebracht. Die beiden waren allein auf der Veranda. "Marcus", sagte Lolla w