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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446206656
Sprache: Deutsch
Umfang: 493 S.
Format (T/L/B): 3.2 x 20.9 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Gut aussehend, höflich und sanftmütig ist er, ein Traum von einem Mann. Alles tut er den Frauen zu Gefallen - und sie lieben ihn. Alle. Warum also Nein sagen? Zu Matilda, die ihn als Knaben verführte; zur hässlichen, dafür um so bemitleidenswerteren Alja; zu Lena, die er heiratet, weil sie ein uneheliches Kind erwartet; zu seiner gehbehinderten Chefin Valerija und zu all den anderen Frauen, die ihn brauchen. Ein wunderbarer Roman über die Liebe mit einem tragikomischen Helden, dem die wahre Liebe fehlt.

Autorenportrait

Ljudmila Ulitzkaja, 1943 geboren, wuchs in Moskau auf und ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Russlands. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. Bei Hanser erschienen Die Lügen der Frauen (Erzählungen, 2003), das Kinderbuch Ein glücklicher Zufall (2005), Ergebenst, euer Schurik (Roman, 2005), Maschas Glück (Erzählungen, 2007), Daniel Stein (Roman, 2009), Das grüne Zelt (Roman, 2012), Die Kehrseite des Himmels (2015), Jakobsleiter (Roman, 2017), Eine Seuche in der Stadt (Szenario, 2021), Alissa kauft ihren Tod (Erzählungen, 2022) und zuletzt Die Erinnerung nicht vergessen (2023). 2008 erhielt Ljudmila Ulitzkaja den Alexandr-Men-Preis für die interkulturelle Vermittlung zwischen Russland und Deutschland, 2014 den österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, 2020 den Siegfried Lenz Preis sowie 2023 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis.

Leseprobe

Alles war wohldurchdacht und geplant, doch dann klingelte in der Nacht das Telefon: Matilda aus Wyschni Wolotschok. Sie hatte ein dringendes Anliegen. Sie wohnte nun regelmäßig das halbe Jahr im Dorf. Das Landleben faszinierte sie, Gemüsebeete und Garten interessierten sie mehr als ihre frühere künstlerische Arbeit. Immer öfter betrachtete sie einen alten Birnbaum oder einen Gesteinsbrocken am Dorfrand mit einer Art Schuldgefühl: Warum, mit welchem Recht hatte sie so viel Holz und so viel schöne Steine für ihre bildhauerischen Übungen verschwendet? Jetzt erfreute sie sich an der einfachen ländlichen Schönheit, weshalb sie Malven pflanzte und Hühner hielt. Neidisch betrachtete sie die Ziege der Nachbarn, die rosagrau war und rauchgraue Hörner hatte. Eine wunderschöne Ziege - vielleicht sollte sie ein Zicklein von ihr nehmen? Sie engagierte Männer, die ihr den alten Brunnen wieder herrichteten. Sie lief in einem alten langen Rock herum, obendrein barfuß, was die Frauen im Dorf längst nicht mehr taten. Sie lachten über sie: He, Matrjona, wieso läufst du rum wie eine Bettlerin? In diesem Jahr führte der Kolchos einen Prozeß gegen Matilda: Sie hatte zwar das Haus rechtmäßig geerbt, doch der Boden, auf dem es stand, gehörte dem Kolchos, und den wollte man ihr nun wegnehmen. Kluge Leute erklärten ihr, sie könne das Land für Erholungszwecke erwerben. Deshalb brauchte sie nun dringend eine Bescheinigung, daß sie Mitglied des Künstlerverbandes war, was ihr mehr Rechte zum Erwerb eines Grundstücks zubilligte als normalen Bürgern. Das Ganze war natürlich Blödsinn, aber staatlich sanktionierter, allgemein üblicher Blödsinn, dem man nur mit ebensolchem Blödsinn begegnen konnte, wie eben mit dieser Bescheinigung. Matilda rief im Moskauer Künstlerverband an, man versprach ihr das Papier, doch die Sekretärin, bei der es lag, ging in den Urlaub, und Matilda verbrachte die ganze Nacht auf dem Telegrafenamt, wartete, bis die kaputte Leitung endlich wieder repariert war und sie eine weitere Verbindung mit Moskau bekam, und nun bat sie Schurik, sofort, spätestens heute Abend, zu der Sekretärin ins Büro oder nach Hause zu fahren und die Bescheinigung abzuholen. Der Gerichtstermin war übermorgen, die Bescheinigung mußte also morgen irgendwie nach Wyschni Wolotschok gelangen. 'Ich kümmere mich drum, Matilda, mach dir keine Sorgen!' versprach Schurik. Matilda machte sich auch keine Sorgen mehr: Sie hatte ihn erreicht, und er war ein echter Freund, er ließ sie nie im Stich. Matilda erkundigte sich nach seiner Mutter, nach Valerija, aber für höfliches Geplänkel war die Verbindung zu schlecht. 'Komm doch her, Schurik! Für länger!' schrie sie in den Hörer. 'Jetzt nach dem Regen wachsen hier die Pilze wie verrückt! Ach ja! Noch eins! Denk an meine Medikamente!' 'Ich komme! Ich komme! Ich denke dran!' versprach Schurik. Er machte sich nichts aus Pilzen. Die Medikamente, die Matilda gegen ihren hohen Blutdruck brauchte, hatte er schon gekauft. Die beiden Packungen lagen im Kühlschrank. Er überprüfte noch einmal den Wecker, um Valerijas Ankunft nicht zu verschlafen. Der Zug kam um zehn Uhr vierzig an, aber Schurik mußte vorher noch Valerijas Saporoshez aus der Garage holen - er besaß eine Vollmacht dafür und fuhr ihn seit langem - und ihren Rollstuhl einladen. Vom frühen Morgen an lief alles schief: Erst sprangen von seinem letzten sauberen Hemd zwei Knöpfe ab, und er mußte sie annähen, dann fiel Großmutters Tasse von der Spüle und ging kaputt, anschließend klingelte es an der Tür - Michail Abramowitsch, eine nasse Flasche in der Hand, bat ihn, diese noch ins Labor zu bringen. Er war so mager, so gelb und so unglücklich, daß Schurik nickte und die Flasche wortlos in Zeitungspapier einwickelte. Zum Glück stand im Labor keine Schlange, so daß er nach zehn Minuten Valerijas Hof erreichte und die Garage aufschloß. Das Auto, das dreihundertsechzig Tage im Jahr in der Garage vor sich hin rostete, sprang nicht an. S ... Leseprobe