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Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart

Erschienen am 05.08.2006, 5. Auflage 2022
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446207776
Sprache: Deutsch
Umfang: 1056 S., 80 s/w Illustr., 80 Fotos
Format (T/L/B): 5.3 x 21.7 x 15.3 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Inhaltsbeschreibung folgt

Autorenportrait

Tony Judt (1948-2010) studierte in Cambridge und Paris und lehrte in Cambridge, Oxford und Berkeley. Seit 1995 war er Erich-Maria-Remarque-Professor für Europäische Studien in New York. Judt war Mitglied der Royal Historical Society, der American Academy of Arts and Sciences und der John Simon Guggenheim Memorial Foundation. Im Carl Hanser Verlag erschienen: Große Illusion Europa (1996), Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart (2006), Das vergessene 20. Jahrhundert (2010), Dem Land geht es schlecht (2011), Das Chalet der Erinnerungen (2012) und Nachdenken über das 20. Jahrhundert (mit Timothy Snyder, 2013).

Leseprobe

Die ungarische -Revolution- von 1989 weist zwei charakteristische Merkmale auf. Erstens war Ungarn, wie geschildert, das einzige Land, in dem der Übergang von einem kommunistischen Regime zu einem echten Mehrparteiensystem von innen heraus bewirkt wurde. Zweitens sollte die ungarische Wende - während die Bedeutung der Ereignisse von 1989 in Polen wie später in der Tschechoslowakei und anderswo weitgehend auf die betroffenen Länder selbst beschränkt blieb - eine entscheidende Rolle für die Auflösung eines weiteren kommunistischen Regimes spielen, und zwar dessen der DDR. Außenstehenden Beobachtern erschien die Deutsche Demokratische Republik von allen kommunistischen Regimen am stabilsten, und das nicht nur, weil allgemein angenommen wurde, daß kein Sowjetführer jemals seinen Sturz zulassen würde. Der Zustand der DDR, vor allem seiner Städte, mochte billig und baufällig erscheinen; die allgegenwärtige Schnüffelei des Staatssicherheitsdienstes, der Stasi, war berüchtigt und die Berliner Mauer blieb ein moralischer und ästhetischer Skandal. Trotzdem war man allgemein der Meinung, die ostdeutsche Wirtschaft sei besser in Schuß als die ihrer sozialistischen Nachbarn. Als der Erste Sekretär, Erich Honecker, im Oktober 1989 bei den Feiern zum 40. Jahrestag der DDR prahlte, das Land gehöre zu den zehn leistungsfähigsten Volkswirtschaften der Welt, soll sein Gast Michail Gorbatschow spöttisch gehüstelt haben; auf eines jedoch verstand sich das Regime - auf die Herstellung und den Export frisierter Daten. Viele westliche Beobachter glaubten Honecker aufs Wort. Die größten Bewunderer der DDR fanden sich in der Bundesrepublik. Der scheinbare Erfolg der Ostpolitik beim Abbau der Spannungen, den menschlichen Erleichterungen und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten hatte praktisch die ganze politische Klasse dazu veranlaßt, ihre Hoffnung auf eine unbegrenzte Verlängerung dieser Politik zu setzen. Die offiziellen Repräsentanten der Bundesrepublik schürten nicht nur die Illusionen in der Nomenklatura der DDR, sondern wiegten sich auch selbst in trügerischen Hoffnungen. Durch die ständige Wiederholung der These, die Ostpolitik baue die Spannungen mit dem Osten ab, überzeugten sie sich schließlich selbst von ihr. Viele Westdeutsche waren so auf -Frieden-, -Stabilität- und -Ordnung- fixiert, daß sie am Ende den Standpunkt der osteuropäischen Politiker teilten, mit denen sie zu tun hatten. Der prominente Sozialdemokrat Egon Bahr erklärte im Januar 1982 (unmittelbar nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen), die Deutschen hätten im Interesse des Friedens auf die Forderung nach nationaler Einheit verzichtet, und die Polen müßten nun im Namen derselben -höchsten Priorität- ihre Forderung nach Freiheit fallenlassen. Fünf Jahre später erklärte der einflußreiche Schriftsteller Peter Bender auf einem Symposion der SPD über -Mitteleuropa- stolz, daß man in dem Wunsch nach Entspannung mehr mit Belgrad und Stockholm, aber auch mit Warschau und Berlin gemein habe als mit Paris und London. In späteren Jahren zeigte mehr als ein führender SPD-Politiker die Neigung, gegenüber hochrangigen DDR-Besuchern im Westen vertrauliche und entschieden kompromittierende Verlautbarungen abzugeben. 1987 pries Björn Engholm die Innenpolitik der DDR als -historisch-, während sein Kollege Oskar Lafontaine im folgenden Jahr versprach, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die westdeutsche Unterstützung ostdeutscher Dissidenten zum Verstummen zu bringen. Die Sozialdemokraten müßten, wie er seinen Gesprächspartnern versicherte, alles vermeiden, was diese Kräfte stärken könne. In einem sowjetischen Bericht an das DDR-Politbüro hieß es im Oktober 1984: -Viele Argumente, die den Vertretern der SPD zuvor von uns entgegengehalten wurden, haben diese jetzt übernommen.- Bei den westdeutschen Sozialdemokraten sind solche Illusionen ja vielleicht noch verständlich. Aber sie wurden mit dem gleichen Ei ... Leseprobe