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Politik braucht Strategie - Taktik hat sie genug

Ein Kursbuch

Erschienen am 15.04.2011, 1. Auflage 2011
32,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593394206
Sprache: Deutsch
Umfang: 263 S.
Format (T/L/B): 2.1 x 21.4 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Die Segelcrew zum Americas Cup hat unter 17 Profis einen ausgewiesenen 'Strategen', die Bundesregierung unter mehr als 13 000 Mitarbeitern keinen einzigen. Und warum gibt es in der Wirtschaft seit 50 Jahren das strategische Management, während die Politik über keinen Zweig verfügt, der zu Recht 'Politische Strategie' genannt werden kann? Joachim Raschke und Ralf Tils zeigen, dass es angesichts wachsender Komplexität auch in der Politik höchste Zeit ist für umsichtige Strategie statt situativer Taktik. Ausgehend von den spezifischen Motiven und Zielen politischer Arbeit im Unterschied etwa zur Wirtschaft erläutern sie politische Strategie und ihre Methodik einfach und praxisbezogen. Sie stellen den gesamten strategischen Prozess vor - Strategiefähigkeit, Strategiebildung und Steuerung - und beleuchten die Rolle der Akteure: Regierung, Opposition, Parteien, Medien und einzelne Politiker. Beispiele gelungener oder missglückter Strategien aus der Geschichte und Gegenwart der Bundesrepublik machen das Erfolgspotenzial dieses Ansatzes anschaulich. "Früher las man Clausewitz, Machiavelli, Sun Tsu, um Strategie zu verstehen. Heute muss man Raschke/Tils lesen." Matthias Machnig, SPD-Stratege und Wirtschaftsminister in Thüringen

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Leseprobe

4. Politische Strategie muss eigene Wege gehen Strategie in der Politik war immer abhängig von politikfremdem Denken. Verspätung, Hinterherlaufen, Missverstehen sind Überschriften für die Geschichte politischer Strategie. Verspätung gilt für die Sprache und Theorie gegenüber der Praxis, aber auch für die Nachzügler gegenüber den Vorreitern. Strategie begann in der griechischen Polis. Sie bezog sich dort auf das militärische Kommando, noch nicht auf die Abstraktion rationalisierter Zielverfolgung. Verstanden als systematische Zielverfolgung ist Strategie ein moderner Begriff, der vor ungefähr 200 Jahren in Frankreich entstand. Die erste ernsthafte Strategiedefinition formulierte Carl von Clausewitz 1804. Strategieanalyse blieb lange eine Sache des Militärs. Nach 150 Jahren folgte die Wirtschaft. Seit den 1960er Jahren entwickelte sich das Strategische Management. Noch einmal fünf Jahrzehnte dauerte es, bis sich eine Politische Strategieanalyse herausbildete. Sie etablierte sich erst in den letzten Jahren - 200 Jahre nach dem Militär, 50 Jahre nach der Ökonomie. Hinterherlaufen ist charakteristisch, wenn man mit dem Nachdenken über sich selbst noch nicht ganz fertig ist. Die Arbeiterbewegung, für die der antagonistische Kampf zentral war, übernahm erst Teile der militärischen Sprache, dann auch Sprachwendungen der militärischen Strategie. So kam Hans Delbrücks militärische 'Ermattungsstrategie', die den Gegner ermüden und zermürben soll (im Unterschied zur 'Niederwerfungsstrategie', die auf die Entscheidungsschlacht drängt), dem Denken einer allmählichen sozialdemokratischen Machtübernahme durch Stimmengewinn sehr entgegen. Zum Ende des 20. Jahrhunderts schauten alle nicht mehr auf die Militärs, sondern auf die Ökonomen. Es sah aus, als hätten sie die Sache mit der Strategie erfunden - ihre Verspätung gegenüber dem Militär war vergessen. Missverstehen begleitete das Hinterherlaufen. Das Denken in ausdifferenzierten Teilsystemen war noch nicht so weit entwickelt wie heute, so dass es den kategorialen Unterschieden zwischen Politik, Militär und Wirtschaft an unmittelbarer Evidenz fehlte. Auch konnte man lange nicht richtig zwischen Strategie und Taktik unterscheiden. So wurde beispielsweise der ganze 'Strategiestreit' der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, bei dem es im Kern um Reform oder Revolution ging, mit dem Begriff der Taktik geführt. Dass die Kommunisten den Strategiebegriff früher als andere aufnahmen, hat seiner allgemeinen Verbreitung auch nicht geholfen. Verspätung, Hinterherlaufen, Missverstehen - immer war Politik (und ihre Wissenschaft) zu schwach, um einen eigenen Ansatz für Strategie zu finden. Sind Politiker dümmer als die militärischen und ökonomischen Eliten? Offiziere und Manager mögen das so sehen. Wir nicht. Wir sehen, wie schwierig es mit Strategie gerade in der Politik ist. Wir haben großen Respekt vor professionellen Politikern. Aber wir glauben an die Optimierbarkeit von Politik. Politik hatte es schwerer als Militär und Wirtschaft. Sowohl kognitiv als auch sozial. Kognitiv mussten Politik und die sie begleitende Wissenschaft erst zu einem Bewusstsein von der Eigengesetzlichkeit demokratischer Politik und ihrer Vereinbarkeit mit Strategie kommen. Sozial macht die ständige Präsenz von Macht- und Konkurrenzfragen in der Politik die strategische Orientierung eines Kollektivakteurs (wie einer Partei) bis heute besonders anspruchsvoll (vgl. Wiesendahl 2008). Seit den 1960er Jahren entdeckte die Wirtschaft (und ihre Wissenschaft) das Strategiethema - gelegentlich auf das militärische Vorbild schielend, dann mehr und mehr aber mit eigener Sprache und Systematik. Das Strategische Management füllt nicht nur Bibliotheken, sondern hat sich auch in den Köpfen festgesetzt - gleichbedeutend mit Strategie. Sogar politisches Personal lässt sich darin schulen, als gelte in der Politik das Gleiche wie in der Ökonomie. Erst heute gibt es für Politik und Politikwissenschaft eine realistische Chance, durch eigene Reflexion und Selbstbewusstsein autonom zu werden gegenüber der langen Fremdbestimmung in Strategiefragen. Der legitime Bedarf an politischer Strategie ist unabweisbar. Was fehlt, ist also ein wenig 'Theorie' der Sache, die die Vorstellung einer auf Politik gründenden Strategie schärft. Eine Theorie, die sich einen Schritt vor der Praxis bewegt. Dafür muss man sich emanzipieren vom Denken in der Sprache und den Modellen der Ökonomie. Das bedeutet auch Emanzipation vom Strategischen Management. Um nicht neue Missverständnisse aufzubauen, betonen wir, dass man vom Strategischen Management lernen kann und soll - aber immer nur durch Transformation und mit einem klaren Bewusstsein von der Differenz zwischen Ökonomie und Politik. Wer die Politisierung der Ökonomie kritisch sieht oder gar bekämpft, müsste auch vor einer Ökonomisierung der Politik auf der Hut sein. Politik ist heute Demokratie, Ökonomie im Kern Marktwirtschaft. Unterschiedliche Institutionen und Handlungslogiken kennzeichnen die verschiedenen Teilsysteme. Strategie in der Wirtschaft, der Gegenstand des Strategischen Managements, erscheint relativ einfach: Betrieb/Unternehmen, Markt, Kunden und Konkurrenten. Wir haben es im Kern mit einem eher unproblematischen Akteurtyp und der Konkurrenz von Partikularinteressen zu tun. Demokratie dagegen umfasst Organisationstypen, die die Wirtschaft nicht kennt: Staat und Freiwilligenorganisation. Und sie hat besondere Handlungslogiken. Herstellung gesamtgesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen ist die Aufgabe des Staates. Damit wird er dem Anspruch nach zum Akteur eines ideellen Gesamtinteresses. Demokratie setzt auf Partizipation, Öffentlichkeit und Transparenz. Daraus entstanden die für Demokratie charakteristische Freiwilligenvereinigungen: Bewegungen und Initiativen, Vereine und Verbände, schließlich Parteien. Sie transportieren Werte und Interessen, Ideen und Ideologien, mit denen Bürger die Gesellschaft gestalten wollen. Ansprüche auf Partizipation und die werte- bzw. interessengeleitete Positionierung der Organisation nach Präferenzen der beteiligten Mitglieder existieren in der Marktwirtschaft so nicht. Damit finden wir in der Politik zwei Akteure (Staat, Freiwilligenorganisation) und eine Handlungslogik (Gesamtinteresse), für die es in der Wirtschaft nichts Vergleichbares gibt. Spannungsverhältnisse, Konflikte und strategische Ansatzpunkte sehen dadurch ganz anders aus, als man es von Wirtschaftsakteuren kennt. Parteien zum Beispiel suchen Einfluss auf das staatliche Gemeinschaftshandeln. Damit tut sich das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen Teil- und Gesamtinteresse auf. Eine Partei, die nichts als Partikularinteressen vertritt, scheitert über kurz oder lang an den Strukturen der Parteiendemokratie. Partei- und Gesamtinteressen, Oppositions- und Regierungslogiken müssen immer wieder in Beziehung gesetzt und zum Ausgleich gebracht werden. Dafür kann man weder von der Wirtschaft noch von dem darauf zugeschnittenen Strategischen Management lernen. Die Komplexität der Politik ist um vieles größer als die der Ökonomie. Sie hat qualitativ andere Strukturen und Handlungslogiken. Neben der hohen Binnenkomplexität des politischen Systems bearbeitet Politik - mehr und anders als Wirtschaft - auch die externe Komplexität, die in der Steuerung einer Vielzahl sehr unterschiedlicher gesellschaftlicher Subsysteme besteht. Regelmäßig gibt es Kämpfe um Abgrenzung und Eigenlogik zwischen Politik und Teilsystemen, wobei die zwischen Wirtschaft und Politik nur die auffälligste ist, sich aber durch Militär, Kultur, Gesundheit oder Sport beliebig erweitern ließe.

Inhalt

Inhalt Vorwort7 Vom Nutzen der Strategie9 1. Strategie lohnt immer9 2. Strategie als Schlüsselgröße der Politik: empirische Illustrationen 13 3. Warum Strategie einfach, aber nicht leicht ist 46 4. Politische Strategie muss eigene Wege gehen49 Grundlagen 56 5. Reden wir über das Gleiche? Klärung des Strategiebegriffs46 6. Strategisches Moment: das Übergreifende und der springende Punkt 62 7. Drei Perspektiven: Akteur, Beobachter, Berater 68 8. Strategisches Akteurmodell: individuelle und kollektive Akteure, innerer und äußerer Prozess 73 Der innere strategische Prozess: Strategy-Thinking 81 9. Orientierungsschema: zutreffende Vereinfachung 81 10. Kompass: Durchblick trotz Unübersichtlichkeit 104 11. Kalkulation: strategische Rechenarten 113 12. Intuition: Hilfe bei schwierigen Entscheidungen 131 Der äußere strategische Prozess: Strategy-Making 142 13. Strategiefähigkeit: die Grundlage von allem 142 14. Strategiebildung: der Weg zum Konzept 163 15. Strategische Steuerung: dynamische Navigation 190 Erfolg 213 16. Erfolgsfaktoren 213 Strategie als aktiver Lernprozess 222 17. Strategische Ambition und Strategietraining: lernen wollen 222 18. Strategieberatung: das verschwiegene Wort 227 19. Strategiediskurs: Klartext reden 233 Schluss: Mehr Strategie wagen! 240 Glossar 251 Literatur 258 Personenregister261

Schlagzeile

Wie geht strategische Politik?

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