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Patriarchen

Zehn Portraits

Erschienen am 18.09.2006
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783813502732
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S., mit s/w Abb. im Text + 1 farbiger Bildteil
Format (T/L/B): 2 x 20.5 x 13.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

VON DEN KÜHNEN IDEEN UND GROßEN TATEN - ZEHN MÄNNER; DIE DIE WELT VERÄNDERTEN. Sie hängten ihre Existenz an eine Idee, setzten diese mit unbeugsamem Willen um und begründeten erfolgreiche Unternehmen - zehn Männer des 19. Jahrhunderts, allesamt Erfinder, Pioniere und Tüftler, prägen die Weltökonomie bis ins 21. Jahrhundert. Der Schweizer Erzähler Alex Capus zeichnet nach akribischer Recherche mit leichter Hand den Lebensweg dieser Männer nach. Ende 1886 notiert Julius Maggi, Betreiber einer Mühle und seit Jahren mit Experimenten für gesunde Fertigkost befasst, das Rezept für ein Bouillon-Extrakt. Dieses Rezept blieb bis heute unverändert, ist streng geheim und wurde als Maggi-Würze weltberühmt. Alex Capus folgt Julius Maggi von den Anfängen als unermüdlich arbeitender Unternehmer bis zu seinem kurzen Lebensabend in den Armen einer schönen Pariserin. Er erzählt, wie aus dem Frankfurter Heinrich Nestle der Schweizer Henri Nestlé wurde, und was ein Paar schicke Pariser Damenstiefelchen, die Carl Franz Bally 1850 von einer Geschäftsreise seiner Frau mitbrachte, mit dem Bau der weltweit größten Schuhfabrik zu tun hat. Der Bankier Johann Jacob Leu, der Heilmittelhersteller Fritz Hoffmann-La Roche oder der Chocolatier Rudolph Lindt - sie alle waren ungestüm, hartnäckig und weltoffen. Sie hatten einen ausgeprägten Instinkt für Veränderungen und Neues, sie verschrieben ihr Leben einer Idee und ließen sich weder von Zweifeln noch von jahrelangen Misserfolgen entmutigen. Gemeinsam war ihnen auch, dass sie keinerlei Grenzen akzeptierten - weder nationalstaatliche, soziale oder moralische - und dass sie sich weder von Politik, Religion oder Familie irgendwelche Beschränkungen gefallen ließen. Alex Capus erweist sich auch in diesen pointierten Lebensgeschichten als glänzender Erzähler. Er schildert hintersinnig, humorvoll, anschaulich, changiert gekonnt zwischen persönlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, unternehmerischen und menschlichen Abenteuern. Es entsteht das Panorama einer Epoche, in der Freiheit, Neugier und Mut über Unfreiheit, Denkverbot und Kleinmut triumphierten.

Leseprobe

Vorwort Meine Mutter war Grundschullehrerin - eine tüchtige, fleißige und strenge Schulmeisterin, die ihre Schüler nach Kräften förderte und viel von ihnen forderte. In den Jahren, da ich selbst Grundschüler war, geschah es oft, dass ich eine Stunde oder zwei vor ihr Schulschluss hatte. Dann saß ich in ihrem Klassenzimmer ganz hinten in einer leeren Bank, las Lederstrumpf und Winnetou und wartete, bis wir zusammen heimgehen konnten. Sie war damals eine temperamentvolle junge Frau, die ihren Schülern gern aus dem Stegreif Geschichten erzählte und sie zum Lachen brachte. Sie hatte eine Schwäche für die Schwachen; ihre Lieblingsschüler waren oft jene, denen die Siebnerreihe beim besten Willen nicht in den Schädel wollte. Gegenüber den Vorlauten und Frechen aber verlor sie rasch die Geduld und konnte ziemlich laut werden; warfen die Jungs aus der hintersten Reihe Papierkügelchen, so erwiderte sie das Feuer mit Schwämmen und Kreidestücken. Wenn sie 'meine Kinder' sagte, meinte sie nicht meinen Bruder und mich, sondern ihre Schüler. Ich bin mir sicher, dass sie 'ihre Kinder' liebte und glücklich war, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen. Ob sie aber auch ihren Beruf liebte - ob sie wirklich mit Leib und Seele Lehrerin war -, bezweifle ich. Ich neige eher zu der Annahme, dass das aufgeweckte Landmädchen, das sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war, letztlich keine andere Wahl hatte, als Lehrerin zu werden. Gewiss hat sie das Schulamt freiwillig angetreten, und bestimmt hat niemand sie zu den vierzig Dienstjahren gezwungen, die sie mit soldatischer Disziplin absolvierte. Aber eines weiß ich ebenso sicher: Wirklich bei sich selbst war sie während der ganzen Zeit ihres Erwerbslebens nie. Bei sich selbst war sie nicht als Lehrerin, auch nicht als Ehefrau und nicht als Mutter - sondern als Musikerin. Meine Mutter war und ist eine große Musikerin. Nie habe ich sie so konzentriert, so stark und selbstbewusst erlebt wie zu Hause am Klavier oder in der Kirche an der Orgel. Sie spielt Bach und Haydn mit großer Autorität, stolz und unduldsam gegenüber den eigenen, seltenen Schwächen. Und wenn sie ans Ende gelangt und den Tastaturdeckel schließt, ist sie stets froh und entspannt wie sonst nie. Ich bin mir sicher, dass sie eine gefeierte Pianistin hätte werden können, die Konzerte auf allen fünf Kontinenten gab. Dass es nicht so weit kam, lag an den Irrungen und Wirrungen des Lebens - an ihrer Herkunft und einem Mangel an Mut, der häufig den Begabtesten eigen ist; es lag an der Liebe und den Früchten, die diese tragen sollte, und es lag am Brotpreis und an der Wohnungsnot und der unerfreulichen Tatsache, dass man Geld braucht, wenn man leben will; vielleicht lag es auch am Zeitgeist ihrer jungen Jahre, dessen Helden weder Bach noch Haydn, sondern Elvis Presley, Roger Vadim und Brigitte Bardot waren; möglicherweise lag es sogar ein wenig an jenem schwarzen Renault Heck, den sie sich von ihrem Lehrerinnenlohn kaufte und der ihr zu zahlreichen kleinen Fluchten verhalf. Was weiß ich. Jedenfalls lebte und lebt sie ihr Leben in Würde; und nirgends steht geschrieben, dass es ein glücklicheres, erfüllteres Leben gewesen wäre, wenn sie ihrer wahren Bestimmung hätte folgen können. Ich bin mir nicht sicher, ob jeder Mensch seine Bestimmung hat, und noch weniger, ob es wirklich wünschenswert ist, dass jedermann - also auch jedes Scheusal - dieser auch folgt. Aber ich weiß, dass es Menschen gibt, deren Existenz sich an einem großen Gedanken, an einer Idee kristallisiert - und die dann alles daransetzen, beispielsweise die Sklaverei in Afrika abzuschaffen, die Welt in ihrer Ganzheit zu vermessen oder den Kosmos in seinen tiefsten Tiefen zu erfassen. Oder Damenstrümpfe ohne Laufmaschen zu erfinden. Solche Menschen sollte man nicht heiraten, denn sie lassen unter keinen Umständen von ihrem Ziel ab und fordern von sich selbst und ihren Nächsten große Opfer. Aber bewundern darf man sie - die Wunderkinder genauso wie die weniger Begabten, die den Fallstr Leseprobe

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